Die Springflut: Roman (German Edition)
wissen?«, hatte Wixell sie am Telefon gefragt.
»Na ja, irgendwie, wie Sie gedacht haben. Ich bin ja selbst dreiundzwanzig und versuche mir vorzustellen, wie Sie gedacht haben. Warum man Escortgirl wurde. Was war daran so verlockend?«
Nach weiterem Unsinn dieser Art hatte Wixell schließlich angebissen.
Nun saßen sie in einem Straßencafé in der Birger Jarls gatan. Grelles Sonnenlicht fiel zwischen den Häuserblocks auf sie herab, so dass Wixell sich eine dunkle Sonnenbrille aufgesetzt hatte. Olivia zog pflichtschuldig einen kleineren Notizblock heraus und sah sie an.
»Sie schreiben über Essen?«
»Ja, als freiberufliche Journalistin, vor allem für Reisezeitschriften.«
»Klingt echt spannend. Aber wird man davon nicht dick?«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, da muss man doch sicher total viel essen, wenn man über so etwas schreiben will?«
»Das ist halb so wild.«
Wixell lächelte kurz. Sie hatte sich zu einem Interview und zu einer Einladung zum Mittagessen bereit erklärt und erzählte von ihrer Zeit als Escortgirl, die allerdings nur kurz gewesen war. Als von ihr Dinge verlangt wurden, zu denen sie nicht bereit war, hatte sie aufgehört.
»Wie zum Beispiel Sex?«, sagte Olivia mit besonders dümmlichem Augenaufschlag.
»Zum Beispiel.«
»Aber für Gold Card arbeiteten viele Frauen?«
»Ja.«
»Waren das nur Schwedinnen?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Erinnern Sie sich noch an ein paar von den anderen?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Ach, ich dachte, ich könnte vielleicht noch wen anrufen.«
»Ich erinnere mich nicht mehr an die anderen.«
»Okay …«
Olivia merkte, dass Wixell inzwischen etwas auf der Hut war, aber sie war noch nicht am Ziel.
»Wissen Sie noch, ob es auch eine gab, die blaue Haare hatte?«, fragte sie.
»Ja, allerdings.«
Wixell musste lachen. Die Erinnerung an eine Frau mit blauen Haaren war offenbar lustig.
»Das war diese Blondine aus Kärrtorp, ich glaube, sie hieß Ovette, sie hat sich eingebildet, die blauen Haare würden sexy aussehen.«
»Aber das stimmte nicht?«
»Es war einfach nur hässlich.«
»Kann ich mir denken. Erinnern Sie sich, ob es jemanden gab, der ein bisschen lateinamerikanisch aussah?«
»Ja … sie … ich weiß nicht mehr, wie sie hieß, aber es gab da ein ziemlich süßes Ding, das so aussah.«
»Ein dunkler Typ? Schwarze Haare?«
»Ja … ja? Kennen Sie die Frau?«
»Nee, aber in der Ermittlungsakte wurde jemand so beschrieben, und da dachte ich, dass sie vielleicht keine Schwedin war und Einwanderer damals bestimmt eher eine Ausnahme waren.«
»Aha? Das waren sie eigentlich gar nicht.«
Wixell hatte plötzlich das unbestimmte Gefühl, dass sie nicht ganz begriff, was diese junge Frau da eigentlich machte. Deshalb bedankte sie sich für das Essen, stand auf und brach, ein wenig überstürzt, auf. Olivia hatte noch eine Frage, kam aber nicht mehr dazu, sie zu stellen: »War diese schwarzhaarige Frau oft mit Jackie Berglund zusammen?«
Olivia stand ebenfalls auf und ging zum Stureplan. Lauer Wind wehte von der Nybroviken herauf. Leichtbekleidete Fußgänger strömten in alle Richtungen. Olivia ließ sich treiben. Auf Höhe des Restaurants East kam ihr schließlich die Idee.
Sie war doch nur zwei Häuserblocks von dem Geschäft entfernt.
Schräg & Schön.
Da lag sie.
Jackie Berglunds Boutique in der Sibyllegatan. Olivia musterte das Geschäft eine Weile von der anderen Straßenseite aus. Sie hatte noch Eva Carlséns mahnende Worte im Ohr: Schnüffeln Sie nicht Jackie Berglund hinterher.
Ich werde nicht herumschnüffeln, ich werde lediglich in ihren Laden gehen und mir ihre Sachen anschauen. Ich bin eine wildfremde Frau für sie, eine Kundin. Das kann ja wohl nicht gefährlich sein.
Dachte Olivia.
Und betrat das Geschäft.
Das Erste, was ihr auffiel, war der Geruch. Sie sog den Duft eines schweren, halbsüßen Parfüms ein.
Das zweite war das Sortiment der Boutique, das ziemlich weit von ihren eigenen Vorlieben entfernt war. Es bestand aus Sachen, die sie sich niemals bei sich zu Hause vorstellen konnte, und Kleidern, die ihr niemals stehen würden und Preise hatten, die in ihren Augen reichlich absurd waren. Sie beugte sich zu einem Kleid hinunter, und als sie aufblickte, stand Jackie Berglund direkt vor ihr. Sorgsam geschminkt, dunkelhaarig, überdurchschnittlich groß. Ihre intensiven blauen Augen betrachteten die junge Kundin.
»Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
Olivia war überrumpelt und wusste nicht, was
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