Die Spur der Hebamme
Besucher kam ihnen bereits mit leise schlurfenden Schritten entgegen. Als Lukas ihn sah, stockte sein Herz, und er war dankbar für das spärliche, flackernde Licht in der Wachstube. Der Sterndeuter war schwarz gewandet, sein Kopf war kahl, und am Kinn trug er einen fingerdicken langen Bart.
Doch nicht sein Aussehen ließ Lukas innerlich zusammenzucken, sondern der Umstand, dass er diesen Mann kannte. Es war Aloisius, der vor ein paar Jahren noch als Astrologe in Diensten von Markgraf Otto stand, bis er von Christian als Verräter und Urheber eines Giftanschlags auf Hedwig enttarnt wurde. Bei einem Überfall verschwand er auf geheimnisvolle Weise, bevor Otto über ihn richten konnte. Er habe sich durch einen mächtigen Zauber unsichtbar gemacht, wurde damals auf dem Burgberg gewispert, während Lukas und Christian eher vermuteten, er sei unbemerkt von seinen geheimen Auftraggebern befreit worden.
Kein Wunder, dass Aloisius nun ein besonderes Interesse an dem Gefangenen hatte, wenn es tatsächlich Christian war. Lukas betete stumm, dass der Schwarzgewandete in dem neuen Wachsoldaten mit der Bundhaube über dem Haar nicht den früheren Knappen seines Feindes erkennen würde.
Doch Aloisius warf nur einen flüchtigen Blick auf ihn, offenbar in Gedanken bereits bei seinem nächtlichen Vorhaben.
Er winkte Lukas heran, drückte ihm ein Bündel in die Hand und befahl: »Trag das und schließ auf!«
Lukas nahm das Bündel, in dem es geheimnisvoll klirrte, undging voran, froh darüber, dass der andere so sein Gesicht nicht sehen konnte.
Das Schloss klemmte, aber beim zweiten Versuch schaffte er es, den Schlüssel herumzudrehen und die Tür zu öffnen.
»Schließ die Tür, hol die Schüssel aus meinem Bündel und fang damit das Blut auf«, befahl Aloisius, nachdem sie beide das Verlies betreten hatten. Dann zog er einen Dolch und ging auf den Gefangenen zu, der im Sitzen an die Mauer gekettet war, so dass er sich nicht rühren konnte. Seine Arme voller blutverkrusteter Schnitte hingen ausgebreitet in Schellen, die direkt in die Wand eingelassen waren, um seinen Leib war eine Kette gelegt, auch seine Füße waren zusammengekettet.
»Und du dachtest einmal, du könntest mir drohen. So ändern sich die Zeiten«, zischte der Schwarzgewandete voller Häme, während er den Dolch genüsslich vor dem wehrlosen Opfer drehte und wendete. »Soll ich dir in allen Einzelheiten erzählen, wie du heute jämmerlich endest, um mir noch im Tod zu dienen?«
»Das will hier niemand wissen«, sagte Lukas grimmig, während er den Hals des Sterndeuters von hinten mit dem linken Arm umklammerte und ihm zielsicher mit der Rechten den Dolch ins Herz stieß. Dann ließ er den Leichnam einfach fallen und schob ihn angewidert mit dem Fuß beiseite.
»Erzähl’s dem Teufel in der Hölle!«
Er versuchte, sich nichts von seiner Verstörung anmerken zu lassen, als er neben Christian niederkniete, um den Freund von den Ketten zu befreien.
Was ihn erschreckte, war weniger Christians Aussehen: totenbleich, abgemagert, mit struppigem Bart, im eigenen Schmutz und voller Peitschenstriemen. Damit hatte er gerechnet, so hatte er den Freund schon einmal aus dem Kerker befreien müssen. Aus Randolfs Kerker. Was ihn erschreckte, war, dassChristian anscheinend schon mit seinem Leben abgeschlossen hatte.
»Ich bin’s wirklich«, versicherte Lukas dem Geschundenen, während er die kleineren Schlüssel an dem Bund durchprobierte, um die Ketten zu lösen. »Ich geb zu, ich hätte eher kommen können, aber immerhin bin ich gerade noch zur rechten Zeit eingetroffen.«
Endlich schien die Erkenntnis zu Christian durchzudringen. »Sie haben gesagt, du wärst tot. Es seien alle tot«, ächzte er.
»Du weißt doch, dass du solchem Pack nicht glauben kannst«, entgegnete sein Freund lässig.
»Wer hat noch überlebt von unseren Leuten?«, fragte Christian, obwohl er so ausgedörrt war, dass er kaum noch sprechen konnte.
»Endlich, das ist der richtige Schlüssel«, verkündete Lukas, froh über die Gelegenheit, sich vorerst um eine Antwort drücken zu können.
Christian verzog qualvoll das Gesicht, als seine über Tage festgebundenen Arme nach unten sackten. Schnell griff Lukas erst nach dem rechten Arm, dann nach den linken, und rieb die verkrampften Muskelstränge, um sie zu lockern.
»Kannst du aufstehen?« Er half dem Freund hoch, aber der wankte und sackte wieder in sich zusammen.
»Der da hat mir fast alles Blut aus den Adern gezapft«, keuchte Christian,
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