Die Spur der Hebamme
Sprache auf die Gefangenen zu bringen, aber Humbert, der graubärtige Kerkermeister, schien wenig Lust zu verspüren, darüber zu reden.
»Das war mein letzter Hälfling«, verkündete Lukas schließlich mit gespieltem Bedauern.
»Na, dann verdien dir mal das Geld fürs nächste Spiel«, brummte Humbert. Er wies mit dem Kopf auf einen Korb voller Brotkanten und einen Krug mit so dünnem Bier, dass es fast aussah wie Wasser. Beides hatte schon vor einer ganzen Weile ein Küchenjunge mit schweißglänzendem Gesicht gebracht.
Endlich!, dachte Lukas. Dass man ihn allein zu den Gefangenen schickte, machte seine Sache noch leichter, sollte Christian hier sein.
»Wie viele Gäste habt ihr denn hier?«, erkundigte er sich.
»Ach, im Moment ist nicht viel los«, meinte der Graubart, nachdem er sich über das Wort »Gäste« köstlich amüsiert hatte. »Das Übliche: ’n paar Mörder, zwei Pferdediebe, einen Sodomiten. Die warten alle auf die Hinrichtung.«
Ohne sich etwas von seiner Unruhe anmerken zu lassen, gingLukas von einer Zelle zur nächsten und teilte Brot und Bier an die Gefangenen aus. Christian war nicht unter ihnen.
»Sind das schon alle?«, fragte er, als er von seiner Runde zurückkam.
»Alle. Bis auf den Ehrengast.« Humbert deutete mit dem Kopf auf eine massive Tür am Ende des Ganges.
»Bekommt der nichts zu essen?«, fragte Lukas.
Der Graubart senkte die Stimme. »Der braucht bald nichts mehr. War wohl ein Geschenk für den Truchsess. Und der hat ihn dann dem Alchemisten überlassen.«
Lukas spürte, wie die anderen schauderten, der Jüngste bekreuzigte sich hastig.
Sie tauschten vielsagende Blicke untereinander aus, dann räusperte sich Humbert. »Spätestens heute Abend musst du es sowieso erfahren, da kann ich es dir auch gleich sagen. Also: Kurz nach Sonnenuntergang wird jemand kommen, der als Alchemist und Sterndeuter beim Herzog in Dienst ist. Du lässt ihn zu dem da hinten rein, und wenn er sagt, er braucht deine Hilfe, dann tust du, was er will. Aber du darfst niemandem erzählen, was du dort siehst!«
Der Graubart schlug ein Kreuz, und die anderen beeilten sich, es ihm nachzutun.
»Spätestens morgen, vielleicht auch schon heute, wenn der arme Kerl da zu nahe am Verrecken ist, wird er die Sache wohl zu Ende bringen.«
Er beugte sich zu Lukas hinüber und raunte: »Ein Herz, bei Vollmond aus dem lebendigen Leib geschnitten, ist eine mächtige Zutat für seine Tränke und Pulver.«
Er richtete sich wieder auf. »Glaub mir, Freundchen, genauer willst du es gar nicht wissen. Jedenfalls, die nächsten Nachtschichten übernimmst du, zusammen mit dem da!«
Er wies auf einen sehr mageren jungen Burschen.
Der rutschte auf seinem Schemel hin und her. »Muss ich diesmal wirklich dabei sein?«
»Ja, ohne Ausflüchte«, meinte Humbert barsch. »Du hast dich schon letztes Mal gedrückt, dich mit irgendwelchen Wehwehchen herausgeredet. Heute nicht!«
Am liebsten wäre Lukas aufgesprungen und in das hintere Verlies gestürmt. Aber so schwer es ihm auch fiel, er musste wohl warten bis zum Abend.
Nach der Abendmahlzeit gingen Humbert und der zweite ältere Wächter. Lukas blieb mit dem Mageren allein. Der schien sich immer mehr zu fürchten.
»Sei ja vorsichtig, wenn der Alchemist kommt«, wisperte er und blickte ängstlich zu Lukas. »Ein falsches Wort, und er verwandelt dich in eine Kröte oder noch Schlimmeres.«
Wieder bekreuzigte er sich mit fahrigen Bewegungen.
Lukas überlegte, ob er den Burschen gleich niederschlagen und in das hintere Verlies gehen sollte. Aber wenn der geheimnisvolle Sterndeuter bald kommen und das Verschwinden des Gefangenen bemerken würde, blieb ihm keine Zeit, einen guten Fluchtweg für sich und Christian auszukundschaften. An dieser Stelle hatte sein Plan zugegebenermaßen noch Lücken.
Er fragte sich immer noch, woher er die Gewissheit nahm, dass ausgerechnet Christian hinter der dicken Tür am Ende des Ganges saß. Welches Interesse konnte Jordan von Blankenburg, der mächtige Truchsess des Löwen, an Christian haben?
Als sie leichte Schritte die Treppe herunterkommen hörten, begann sich der magere Bursche vor Unbehagen zu winden.
»Das ist er«, wisperte er. »Geh schon mal vor. Hier ist derSchlüssel.« Er streckte Lukas einen großen Metallring entgegen, an dem etliche Schlüssel hingen. Einen davon suchte er heraus. »Der hier.«
»Kannst ruhig hierbleiben, ich übernehme das«, erklärte Lukas, sehr zur Beruhigung des Burschen.
Der nächtliche
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