Die Spur der Hyäne: Thriller (German Edition)
bereit. Dieser Geruch erinnerte Jouma immer an seine eigene Kindheit auf den fruchtbaren Ebenen am Fuße des Mount Kenya. Auch in seinem Dorf hatte es eine Kirche gegeben – nicht so großartig wie diese, eigentlich kaum mehr als eine Hütte, in der einmal pro Monat ein Priester der christlichen Mission von Meru einen Gottesdienst abgehalten hatte. Doch Pater Steele war ein freundlicher Mann gewesen, der predigte, dass Gott all seine Kinder gleich liebte und keine Vorurteile kannte. Jouma hatte den ganz entschiedenen Eindruck, dass Bruder Willem zwar aus derselben Bibel vorlas, aber im Gegensatz zu Pater Steele selbst nicht umsetzte, was er predigte.
Plötzlich lief ihm ein Junge vor die Füße. Er trug viel zu weite Shorts und ein himmelblaues Fußballtrikot mit der Aufschrift ROBINHO auf dem Rücken. In der einen Hand hatte er eine grüne Kokosnuss, in der anderen hielt er mit lockerem Griff eine Machete.
»Du wollen? Sehr gut. Sehr erfrischend!«
Jouma nickte lächelnd. »Asante sana.«
Der Junge grinste zurück und entfernte mit einer geübten Handbewegung den oberen Teil der Kokosnuss. Jouma setzte die Frucht an die Lippen und trank die warme, süße Milch. Dann gab er die Nuss zurück, und diesmal benutzte der Junge die Klinge seines Messers geschickt, um ein fingerdickes Stück aus der Schale zu schneiden. Damit schälte er dann streifenweise das feuchte Fleisch heraus.
»Asante« , sagte Jouma, nahm ein Stückchen des weißen Kokosfleisches zwischen Finger und Daumen und ließ es sich in den Mund fallen. Es schmeckte köstlich und milde. Allerdings konnte Jouma sich an eine Zeit erinnern, in der er kaum etwas anderes zu essen bekommen hatte. Was für sorglose Zeiten, Daniel.
Ein Boot kam vom Meer in den Flamingo Creek gefahren. Es fuhr relativ flott flussaufwärts und wurde auch nicht langsamer, als eine Gestalt vom Heck sprang und aufs Ufer zu schwamm.
Jouma beobachtete das Schiff, wie es in fünfzig Meter Entfernung an ihm vorbeizog, und erkannte den Namen Yellowfin auf dem Bug.
Jake?
Er lächelte und hob den Arm, um die Aufmerksamkeit seines Freundes zu erregen – aber die Augen des Engländers auf der Brücke waren starr geradeaus gerichtet, sein Gesichtsausdruck sprach von bösem Kummer, und dann war das Boot auch schon vorbei.
Ein Junge stieg aus dem Fluss. Von seinem Körper, der so schlank und geschmeidig war wie der eines Marlins, spritzte das Wasser. Irgendetwas an ihm kam Jouma bekannt vor, aber er brauchte einen Moment, bis er wusste, wer das war. Natürlich! Jakes Schiffsjunge.
»Sammy!«
Der Junge blickte auf. In seinen Augen lag ein Funken des Wiedererkennens, wahrscheinlich auch die unangenehme Erinnerung an verrauchte Vernehmungsräume und eine Reihe mitleidiger Ärzte, die die Schwere seines psychischen Traumas festzustellen versuchten. Sammys kleiner Bruder war von einem von Patrick Noonans Männern ermordet worden. Sammy selbst hatte den Mann getötet, indem er ihm eine Harpune durch den Schädel schoss. Kein Kind der Welt sollte durch solche Feuerproben gehen müssen.
»Inspector …?«
»Jouma. Daniel Jouma. Wie geht es dir?«
»Mir geht’s gut, Sir«, antwortete Sammy respektvoll, aber seine Augen straften ihn Lügen. »Aber ich muss jetzt gehen. Meine Mutter wartet.«
Jouma legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Was ist los, Sammy?«
Der Junge seufzte. »Mr.Jake hat über Funk schlechte Nachrichten erhalten. Sehr schlechte Nachrichten.«
»Dann musst du mir sagen, was es ist«, verlangte Jouma.
Nachdem ihm der Junge die Neuigkeiten eröffnet hatte, verlor der Inspector vorübergehend die Fassung. Im nächsten Moment hastete er jedoch an der Kirche vorbei und sprang in sein Auto. Als er so schnell wie möglich den Feldweg zum Highway entlangraste, um zum Bootshaus am Südufer zu gelangen, fiel ihm ein, dass Mwangi und Bruder Willem sich sicher wundern würden, wo er abgeblieben war – aber manche Dinge waren eben wichtiger als formale Höflichkeiten. Sein Freund brauchte ihn. Der Priester und der unerfahrene Detective würden noch ein wenig ohne ihn auskommen müssen.
12
D er zehnsitzige Dauphin 365N, der schnellste zivil genutzte Hubschrauber der Welt, erhob sich von einem privaten Landeplatz am Mombasa Airport, um sofort in südliche Richtung zur Grenze von Tansania zu schwenken. Zwanzig Minuten später landete er auf dem Grundstück einer weitläufigen Ranch im Schatten der Shimba Hills, knapp hundert Kilometer vor der Stadt. Im Helikopter saß nur ein
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