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Die Spur der Kinder

Titel: Die Spur der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
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noch zu beschwichtigen. Dennoch habe sie die Polizei gerufen.
    García sah auf die weiße Lilie. Sie würde ihr kleines Mädchen nie wiedersehen. Genau wie Fiona Seeberg und all die anderen Eltern, denen die weiße Lilie überbracht worden war, ihre Kinder nie wiedergesehen hatten.
    »Lilientäter schlägt wieder zu«, hatte die Presse damals getitelt. Von einem Lilien mörder wollte dazumal noch niemand etwas wissen, doch Maria García machte sich nichts vor.
    ¡Dios! Tu doch endlich irgendetwas! Doch sie stand wie gelähmt mit dem Rücken zum Fenster und spürte, wie ihr die Luft wegblieb, als sie zu dem offenen Päckchen auf dem Esstisch starrte. Daneben stand Lunas Frühstücksteller von heute Morgen. Lunas Brotkrümel, ihr mit Nutella verschmiertesMesser und der aufgeschnittene Apfel, den sie wie immer verschmäht und der sich inzwischen bräunlich verfärbt hatte. García tippte die Nummer des Polizeinotrufs in das schnurlose Telefon und brachte mit ruhiger Stimme, sehr viel kontrollierter, als sie es von sich erwartet hatte, ihren Namen und ihre Adresse heraus. Währenddessen löste García ihren Gürtel und stieg auf den Stuhl.
    »Eine weiße Blume, sagten Sie?«, hinterfragte die Beamtin, und García hörte sie hastig etwas in den Computer eintippen. »Was für eine weiße Blume war das genau?« Die Stimme der Frau hatte mit einem Mal etwas Brüchiges.
    Maria García reagierte nicht.
    »Frau García? Sind Sie noch dran?«
    »Ja«, hauchte sie und beschrieb den Kurier, so präzise sie konnte. Auf dem Stuhl schwankend, befestigte García den Gürtel in einer Verankerung an der Decke.
    »Wann wurde Ihnen das Päckchen zugestellt?«, fragte die Beamtin am anderen Ende der Leitung.
    »Vielleicht vor fünf oder zehn Minuten. Oder zwanzig?«, antwortete García beherrscht, doch ihr war, als sei seither bereits eine Ewigkeit verstrichen.
    »Hören Sie mir jetzt gut zu. Bleiben Sie, wo Sie sind, und fassen Sie bitte nichts an, weder das Päckchen und um Himmels willen nicht diese Blume. DieKollegen der Kriminalpolizei sind gleich bei Ihnen.«
    Die Worte der Beamtin klangen mit einem Mal kilometerweit entfernt und zogen wie Luftblasen an García vorbei.
    »Ja, in Ordnung«, meinte sie. Eine Lüge. Das Telefon schlug dumpf auf dem PVC -beschlagenen Boden auf, und García spürte den ledernen Gürtel, der ihre Kehle wie ein Strick umschlang. Wie in Trance murmelte García ein letztes Gebet, während alles um sie herum mehr und mehr in dem schwarzen Rauch verschwamm, der nun aus dem Backofen in die Wohnung drang. Dann setzte sie einen Fuß auf den Stuhlrücken, bereit, den Stuhl zum Kippen zu bringen. Noch einmal zögerte sie und blickte auf das gerahmte Foto von Luna auf der Fensterbank. García hatte es erst vor wenigen Wochen im Berliner Stadtbad gemacht. Die Beamten würden es sicher gleich vorfinden.
    ***
    (Zur selben Zeit am Wannsee)
    Die Sonne brannte auf ihren hellen, mit Sommersprossen übersäten Schultern, als Fiona den Yacht-Club Wannsee erreichte. Sie schloss ihr Fahrrad ab und lief mit dem Picknickkorb in der Hand über denSteg. Der dünne Stoff ihres Sommerkleids flatterte im leichten Wind.
    »Na endlich!«, rief Adrian, der schon am frühen Morgen aufgebrochen war, um die Blue Star startklar zu machen. Er trug die alberne Kapitänsmütze, die Fionas Vater ihm mit dem Segelschiff vermacht hatte.
    »Ich dachte schon, du hast es dir anders überlegt.«
    »Hättest du wohl gern«, lachte Fiona, als Adrian ihr an Bord half und ihre Wange mit einem Kuss streifte.
    »Aye, aye, Käpt’n«, witzelte sie, »dann kann’s ja losgehen.«
    Als sie die mitgebrachten Sandwiches im Kühlschrank unter Deck verstaute, erspähte sie die Weißweinflaschen im untersten Fach. Und da war sie plötzlich wieder: die vertraute Beklemmung. Fiona konnte nicht einmal sagen, ob es der Anblick des Alkohols war oder aber die Tatsache, dass ein Schwimmflügel von Sophie quietschorange aus einem Ablagefach in der Kajüte hervorlugte.
    »Geht gleich los, wir müssen nur noch auf Rolf warten«, rief Adrian und löste die Spannseile von den Segeln.
    »Auf Rolf?« Fiona ließ die Kühlschranktür zufallen und stieg wieder hoch.
    »Ich dachte, nur wir beide.«
    »Was hätte ich denn machen sollen? Als ich Rolf erzählthabe, dass wir mal wieder rausfahren, hat er sich quasi selbst eingeladen. Du kennst ihn ja«, sagte er und sah Fiona mit jenem Nun-sei-doch-kein-Spielverderber-Blick an, den er immer dann auflegte, wenn er ein Versprechen nicht

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