Die Spur der verlorenen Kinder
unzerbrechlichen Fenster, aus seiner eigenen Zeit, das Stabilste, was es gab. Er griff nach seiner Videokamera und eilte hinaus zu seinem VW-Bus.
Es war das 1967er-Modell, er hatte ihn kürzlich gekauft. Er war leuchtend rot mit weißen Zierstreifen, makellosem Inneren und dunklen Vorhängen vor den Fenstern. Er war auf Peter Wheat zugelassen, alles ganz korrekt. Er hatte noch einen weiteren Bus genau wie diesen, der in seinem neuen Haus in Miami stand, ordentlich in der Garage, der war zugelassen auf Harvey O’Connor, den Namen, den er in seinem neuen Leben annehmen würde. Das Leben, das er in fünf Tagen für sich reklamierte, am 1. Juli. Es sei denn, er entschiede sich, schon vorher etwas zu unternehmen, was eindeutig möglich wäre.
Die Siebenuhrfähre war voll, doch das passte Wheaton. Er verbrachte den größten Teil der Fahrt im Bus, er spielte mit der Videokamera. Es war eine handtellergroße digitale Panasonic, ein ausgezeichnetes Gerät, es würde allerdings noch fünfunddreißig Jahre dauern, bis es sie gab. Wenn er nach Hause kam, würde er die Aufnahmen auf sein Laptop überspielen und sie sich ansehen, bis er jedes Detail felsenfest in seiner Erinnerung hatte.
Diese Fähre war normalerweise schneller als die früheren Fähren, aber nur um sicherzugehen, stoppte er mit. Er würde in der Nacht den Bus fahren, jedoch nur bis zur Sugarloaf Marina, dann würden Evie und er den Rest des Weges auf einem Boot zurücklegen, das er reserviert hatte. Das Boot würde sie bis zu seinem Liegeplatz in einem der vielen Kanäle Miamis bringen. Wenn der alte Mann in der Marina realisierte, dass er sein Boot nicht zurückbekam, wäre es zu spät. Peter Wheat/ Patrick Wheaton wäre spurlos verschwunden.
Er hatte mit der Idee gespielt zu versuchen, ein paar Jahre in die Zukunft zu reisen. Und obwohl das die ultimative Fluchtmöglichkeit wäre, zögerte Wheaton, es zu probieren. Seine Erfahrung vor Yukatan hatte er immer noch in schmerzvoller Erinnerung. Er hatte keine Ahnung, wie diese Zeitreise abgelaufen war, und wusste nicht, wie er kontrollieren konnte, wo er landete. Zu viele Unbekannte.
Die Fähre legte genau achtunddreißig Minuten später an, und um 19:50 Uhr war er unterwegs, er verließ Key West. Es war wenig Verkehr. Er fuhr gleichmäßig mit achtzig Stundenkilometern und erreichte Sugarloaf Key um genau 20:06 Uhr. Hervorragend, dachte er. Es musste draußen absolut dunkel sein für sein Vorhaben, also entschied er sich, beim Essen etwas Zeit totzuschlagen, er hielt auf dem Parkplatz der Sugarloaf Lodge und ging hinein.
Im Sommer 1968 war hier nicht viel los. Die Lodge war vor allem ein Ort, an dem Reisende nach Key West oder Tango Key hielten, um eine Kleinigkeit zu essen oder aufs Klo zu gehen. In ein paar Jahren würde die Besucherzahl der Lodge zunehmen wegen eines Delfins namens Sugar, der die nächsten zwanzig Jahre in einem Teil der Lagune leben würde, den der Besitzer der Lodge abgezäunt hatte.
Er zählte fünf Gäste, drei davon Hippies an einem Tisch am Fenster, die anderen ein junges Pärchen, das die Straßenkarte studierte. Die Kellnerin führte ihn zu einem Fenstertisch, reichte ihm die Karte, ging wieder. Wenn sein Gedächtnis ihn nicht im Stich ließ, hatte sein jüngeres Selbst vor ein paar Nächten in dem Leben, das er bereits gelebt hatte, Eva in der Hängematte erwischt …
Er ist in der Küche, er holt sich einen Snack, er ist allein zu Haus, als er das Lachen hört, leise und heiser, intim. Das Lachen kommt aus dem Garten, und er weiß sofort, dass es Evies Lachen ist. Sie ist mit jemandem dort unten, dort wo die Schatten am dunkelsten sind, wo die Hängematte hängt. Eine entsetzliche Hitze durchflutet ihn, verbrennt sein Herz. Sein Kopf dröhnt, er kann kaum denken.
Er legt sein Messer, noch verschmiert mit Erdnussbutter, in die Spüle. Zieht seine Schuhe aus. Er öffnet vorsichtig die Hintertür, hofft, dass sie nicht quietscht. Er geht langsam die Treppe hinunter, er meidet die Stellen, wo das alte Holz ächzt und stöhnt. Jede Bewegung ist entschlossen. Sein Kopf dröhnt so massiv, dass sich der Schmerz hinter seinen Augen ausbreitet.
Unten an der Treppe bleibt er stehen und lauscht. Lachen, ein Stöhnen, das Rascheln einer Brise in den Palmwipfeln. Dann Evies Stimme, leise, aber nicht geflüstert: »Hör nicht auf damit, hör nicht auf, Billy.«
Billy Macon. Ein wilder, reicher Junge aus Manhattan. Seine Eltern haben ein Häuschen auf Big Pine Key, am Wasser. Er saust in
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