Die Spur der verlorenen Kinder
man sich in einem Schneesturm. Selbst der Boden war aus weißem Linoleum, aber hässlich wie ein Gnomgesicht und komplett verdreckt, schimmelig und übersät mit Essensresten.
Die Luft war kalt.
Hier gab es nichts Menschliches.
Es roch nach Essen. Eine kleine Lampe über der Spüle brannte und zeigte ein Spülbecken voller schmutziger Teller, an denen noch Essensreste klebten. Eine einsame Pfanne stand auf dem Herd, die rote Soße darin war lange kalt geworden. Der Mülleimer war übervoll. Eine volle Mülltüte lehnte daneben. Der Boden war dreckig, voller Flecken und Essensreste. Diese Leute, dachte sie, waren Schweine. Wenn diese Wheatons Peter Wheats biologische Familie darstellten, dann war es kein Wunder, dass er sich so sehr vor Keimen fürchtete.
Sie berührte Rusty am Arm und deutete auf seine Turnschuhe. Er nickte, und sie zogen ihre Schuhe aus, aber nicht ihre Socken – auf diesem Boden würden sie auf keinen Fall barfuß gehen –, und sie steckte sie in ihre Schultertasche. Es war eine wunderschöne schwarze Leinentasche, die ihr Mann ihr zu ihrem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest geschenkt hatte, und sie war mit anderen Geschenken gefüllt gewesen, die sie sich eigentlich nicht hatten leisten können. Lydia umfasste den Riemen und murmelte ein stilles Gebet zu ihrem Mann, Gott sei seiner Seele gnädig, sie bat um Führung, Erleuchtung, ganz egal, was er ihr Gutes tun konnte. Amen und besten Dank.
Jetzt: das Wohnzimmer. Sie hielten sich dicht an den Wänden, sie gingen seitlich wie Krabben, die dringend irgendwohin mussten. Ein großes Haus, nett eingerichtet, aber unordentlich. Hier machte offenbar nie jemand sauber. Sie schlichen an dem Bücherregal entlang, sie betrachteten die Sammlung von Familienfotos. Mom und Dad zusammen, ein glücklich lächelndes Paar. Mom, Dad, Tochter, Sohn, die Arme umeinander gelegt, eine große glückliche Familie. Glücklich, glücklich, glücklich.
Abgesehen davon, dass sie unter ihrem Lächeln und ihren hübschen Gesichtern unendlich unglücklich aussahen. Und der Sohn kam ihnen bekannt vor. Lydia griff nach dem Foto und hielt es unter eine Leselampe. »Mein Gott«, sagte sie leise und rieb mit dem Daumen über das Gesicht des Sohns. Das war er. Peter Wheat. Eine viel jüngere Version, ja, aber er war es definitiv. Sie schätzte, dass er auf dem Foto fünfzehn oder sechzehn war, und da Wheat inzwischen kurz vor fünfzig stand, war das Foto vor über dreißig Jahren aufgenommen worden. Aber in welcher Zeitzone? In der Zeitzone 1968 oder in der Zeit des 21. Jahrhunderts?
»Das ist er«, zischte Rusty, der ihr über die Schulter schaute. »Das ist er.« Seine schlanken Finger entnahmen das Bild dem Rahmen, drehten es um. Mit Bleistift stand auf der Rückseite Dan, Katherine, Eva und Patrick, Frühjahr 1968. »Scheiße, wie kann es zwei Versionen von Pete gleichzeitig geben?«
»Das fragst du mich?«
»Wir müssen hier raus«, sagte er.
Rusty lief in die Küche, er hielt das Bild immer noch in der Hand, der leere Rahmen stand im Buchregal.
»Das hättest du nicht tun sollen« rief sie, während sie hinter ihm in die Küche eilte. »Sie werden sehen, dass es fehlt.«
»Na und?«
»Wir wissen immer noch nicht, warum er sich für sie interessiert.«
»Natürlich tun wir das. Sie sind seine Familie.« Er klang verärgert und verängstigt, zutiefst verängstigt. »Er will etwas von ihnen. Er wird ihnen etwas wegnehmen. Das ist es, was er tut, Lydia. Er nimmt sich, was er will. Er ist ein kranker verfickter Perverser, der glaubt, das Leben schuldet ihm was.«
Sie war durchaus seiner Meinung. Aber das reichte nicht. Sie packte seinen Arm. »Wir müssen uns noch genauer umsehen.«
Rusty riss sich los, griff sich die Pfanne mit kalter roter Tomatensoße und steckte die Finger hinein. Er ging zum Kühlschrank und fuhr mit den Fingern über die helle Oberfläche, er malte ein großes P, dann bemalte er die hellen Schränke mit einem großen E und einem verschmierten R, dann die Schranktür mit einem einfachen V und einem weiteren E, und schließlich malte er auf den Tisch ein letztes großartiges R und S, gefolgt von mindestens einem Dutzend Ausrufezeichen. Er war so schnell, so entschlossen, dass Lydia ihn, als ihr klar wurde, was er tat, nicht mehr aufhalten konnte. Als sie sich endlich wieder rühren konnte und auf ihn stürzte, hatte er bereits Wasser in die Pfanne gegossen und schleuderte sie im Kreis.
Die Welle kalter Tomatensoße, die nunmehr die Konsistenz
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