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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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wässrigen Tees hatte, klatschte an die weißen Wände, auf die weißen Küchengeräte, die weißen Stühle und den weißen Boden. Lydia packte Rusty hinten am Hemd und zog, so fest sie konnte, und er taumelte zurück, in der einen Hand hielt er immer noch die Pfanne, mit der anderen fuhr er durch die Luft. Sie riss ihm die Pfanne aus der Hand, warf sie in die Spüle und tastete hinter sich, bis sie den Türknauf spürte. Sie riss die Tür auf, und sie liefen die Treppe hinunter, sie taumelten, sie stürzten beinahe, oh Scheiße, was geschieht hier nur? Wie zwei streitende Katzen landeten sie schließlich auf den Füßen.
    »Du verdammter, blöder weißer Junge.« Sie stieß ihn vor sich her, und er fiel, seine Hände flogen nach vorn, er stürzte in das Boot. Er stemmte sich heraus und wirbelte herum, die schwarze Schuhcreme war jetzt bis über seine Ohren verschmiert, saß in seinen Augenbrauen, klebte in seinen Wimpern. Er sah stinksauer aus, aber nicht verrückt. Wütend, aber nicht gefährlich – zumindest nicht für sie. Bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, begann das große Tor in dem Holzzaun zu quietschen und sich zu bewegen, und ihnen wurde klar, dass es sich öffnete, dass ein Wagen hereinkam.
    Sie huschten hinter das Boot, kauerten sich beide hin, hielten den Atem an. Sie hörten den Wagen hereinfahren, hörten, wie sich die Türen öffneten und schlossen, dann knirschten Schuhe über den Kies in der Auffahrt. Sie hörten, wie das Tor sich schloss, die Schuhe wieder auf dem Kies, die Tür ging auf, der Motor aus. Dann hörten sie Kichern, heisere Stimmen, Gelächter. Und als sie am Boot vorbeischauten, sahen sie ihn, einen jungen Peter Wheat/Patrick Wheaton, wie auch immer er wirklich hieß, und das hübsche weiße Mädchen von dem Foto, sie liefen nackt durch den Garten, durch das Sternenlicht.
    Sie hielten Händchen.
    Sie blieben am Rande ihres Blickfelds stehen und umarmten sich. Dann liefen sie davon, und Lydia sah Rusty an. Fuck, oh fuck, sagte er tonlos.
    Sie würde sich nie genau erinnern, wie sie wieder herausgekommen waren, ohne gesehen zu werden, doch sie nahm an, wenn man Teenager war und die Hormone verrücktspielten, und wenn man seine Schwester, Stiefschwester, Cousine oder was immer sie war, fickte, dann verschwand der Rest der Welt um einen herum.
    Als sie die Straße erreicht hatten, holten sie ihre Fahrräder aus dem Gebüsch, sprangen darauf und rasten los. Sie radelten so schnell, dass ihre Augen tränten und ihre Haare wild um sie herumflatterten. Am Ende der Straße bogen sie scharf nach rechts ab und stießen beide fast mit einem VW-Bus zusammen, der aus der nächsten Seitenstraße kam. Sie wusste sofort, dass es Wheat war. Er hupte, das Geräusch hallte durch die Dunkelheit, es klang wie ein verwundetes Schaf.
    Sie rutschte beinahe weg, fing sich dann aber noch und trat in die Pedale, bis ihre Oberschenkelmuskeln schmerzten und sie schnell war wie der Wind. Hatte er sie erkannt? Folgte er ihnen? Sie wusste, dass Rusty dasselbe dachte, dass sie beide panische Angst hatten, denn sie schauten sich im selben Augenblick um.
    Scheinwerfer strahlten in ihre Richtung. Ihr Atem drang aus ihrem Mund wie ein lautes Rülpsen. Sie beugte sich vor, trat in die Pedale wie eine Rasende. Die Brücke war knapp vor ihnen, dahinter der Hafen, keine Seele zu sehen. »Unter die Brücke«, rief sie.
    Sie bogen scharf nach rechts und jagten die Schräge zum Kanal hinunter. Sie hörte den Motor des Busses, lauter und näher, und schoss nach links unter die Brücke. Das Fahrrad kippte weg, sie landete auf dem Boden. Sie fiel auf ihre Hüfte, konnte aber ihre Tasche festhalten. Sie rappelte sich hoch, stellte das Fahrrad auf, lief hinter Rusty her, sie schob das Fahrrad und folgte ihm unter die Brücke. Dieser verfickte Irre will uns einfach niedermähen.
    Als sie sich direkt unter der Brücke befanden, schoben sie ihre Räder ins Wasser, sie hoffte, dass es ein flacher Bereich war. Die Räder versanken, und sie huschten hinüber zu einem Betonrohr, das in der Regenzeit überschüssiges Wasser in den Kanal leitete. Zum Glück hatte es seit Monaten nicht geregnet, und das Rohr war im Inneren praktisch knochentrocken.
    Doch es war darin auch völlig schwarz, und sie waren immer noch auf Socken, und der Boden war glitschig vor Schleim, Algen, Moos. Ihre Füße zermalmten irgendetwas – Schnecken? Waren das Schnecken? –, und sie blieb lange genug stehen, um mit der Hand über die Sohle ihrer Socken zu

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