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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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auch nicht so gut ausgestattet. Aber sie hatte den Rücksitz für sich, und als der Hubschrauber abhob, öffnete sich eine große Leere in ihrem Bauch.
    Es war das erste Mal, dass sie die Insel verließ, seit sie vor über zwei Wochen auf dem Strand zu sich gekommen war. Die Landschaft dreihundert Meter unter ihnen war unglaublich, die Inseln hingen wie zarte Perlen aneinander, blassgrün und umgeben von einem nahezu unendlichen Blau. Dort standen zahllose Mangroven, und es gab viele Strände, jede Menge Himmel und Wasser, eigentlich alles außer Häusern. Fünfunddreißig Jahre schneller Bauentwicklung würden Luftverschmutzung, Verkehr und Verbrechen mit sich bringen.
    Von hier aus konnte sie einen Bereich sehen, der aussah wie ein Ölteppich. Er befand sich mehrere Kilometer nördlich von Tango, kurz vor Little Horse Key. Das schwarze Wasser. »Joe«, rief sie über das Dröhnen der Rotoren hinweg, »was ist das schwarze Zeug da unten?«
    »Das weiß keiner.«
    Er sagte es, als wäre das schwarze Wasser bloß ein weiteres unlösbares Rätsel eines Universums voll solcher Rätsel, die man besser Philosophen und Meeresbiologen überließ. Das weiß keiner. Aber sie wusste es. Sie hoffte, es wäre der Rückfahrschein für sie und Annie.
    Der Pilot flog knapp neben der Küste, folgte der US 1 nach Norden. Mira schaute zum Fenster hinaus und sog alles auf. Irgendwo dort unten hielt ein Monster ihre Tochter gefangen, und ein dreizehnjähriger Tom Morales genoss den Sommer.
    Als die Pinien unter ihnen dichter wurden, ging der Hubschrauber tiefer und kreiste über einem unbebauten Grundstück am Ende einer Straße. Mira sah weder Streifenwagen noch Reporter, noch nicht einmal Gaffer. Sie beugte sich vor und tippte Fontaine auf die Schulter. »Wo sind die Polizisten?«, fragte sie.
    »Gekommen und gegangen. Die Leiche wurde letzte Nacht gegen Mitternacht gefunden.«
    Sie lehnte sich zurück, und ein paar Minuten später setzte der Hubschrauber auf. »Ich brauche etwas vom Opfer, das ich anfassen kann«, sagte sie zu Fontaine, als sie die Straße entlanggingen.
    »Kein Problem. Er war zu Hause, als er getötet wurde.«
    Es war eine stille Straße, kaum bewohnt, die meisten der unbebauten Grundstücke standen voll mit Pinien. Obwohl es noch früh war, konnte man bereits spüren, wie heiß es noch werden würde. Die Sonne kochte bereits den Asphalt, und Hitzewellen zitterten wie eine Fata Morgana wenige Zentimeter über der Oberfläche. Möwen segelten ostwärts über den Golf, ihre Schreie hallten durch die feuchte Stille.
    Tom lebte bloß ein paar Straßen weiter.
    Nicht.
    »Wie viel wollen Sie darüber wissen, was vorgefallen ist?«, fragte Fontaine.
    »Am besten gar nichts.«
    Ihr Atem veränderte sich, und sie spürte, wie das Summen tief in ihrem Schädel begann. Sie verspannte sich, sie fürchtete, dass bald das schreckliche Kreischen aufkäme, eine Stufe vier, die sie nicht kontrollieren konnte. Stattdessen blieb es so, es war da und doch nicht da, und sie fand sich damit ab.
    Fontaine nickte den beiden Kollegen zu, die vor dem Haus Wache schoben, und blieb am Ende der Auffahrt stehen. »Hier ist es. Das ist sein Wagen im Carport. Alles ist so, wie wir es vorgefunden haben.«
    Kein Absperrband, dachte sie, und fragte sich, wieso nicht. Vielleicht benutzte man das 1968 noch nicht. Vielleicht hatte man es schon wieder abgenommen. Und vielleicht fängst du einfach an. Ihr Zögern weiterzugehen war jetzt so groß, dass es geradezu vor ihr stand, eine unsichtbare Mauer, und ihr wurde klar, dass sie etwas brauchte, das dem Opfer gehört hatte.
    »Ich brauche einen persönlichen Gegenstand des Opfers.«
    »Oh, ja. Entschuldigung.« Er griff in die Tasche und zog einen Schlüsselbund heraus. »Sie sind nach Fingerabdrücken untersucht und als Beweisstück registriert worden. Es sind seine.« Er ließ sie in ihre nach oben gewandte Hand fallen, ihre Finger schlossen sich darum. »Okay, wenn ich Ihnen folge?«
    »Kein Problem.«
    »Soll ich irgendetwas Besonderes machen?«
    »Zuhören, aber nicht im Weg stehen.«
    Sie zog ihre Schuhe aus und ging barfuß die Auffahrt zum Mustang hinauf, die Schlüssel in der linken Hand. Als sie den Wagen erreichte, legte sie ihre rechte Handfläche auf den Kofferraumdeckel, hielt inne, ging dann die linke Seite des Wagens entlang, ihre Finger fuhren über die Tür. Sie wartete auf Bilder, Eindrücke, Gefühle, einen Strom der Informationen, nahm aber nichts wahr. Sie erreichte die Vorderseite

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