Die Spur der verlorenen Kinder
sprechen, Worte zu bilden. »Er … er hat sie entführt, als wir auf Little Horse Key waren.« Sie schluckte, fuhr dann zurück auf die Straße. »Wie weit muss ich noch?«
»Einen Kilometer, dann bei einer weißen Kirche nach rechts. Annie kann nicht deine Tochter sein. Wir können nicht über denselben Peter reden.«
»Natürlich tun wir das.«
»Nein. Das ist unmöglich. Peter … er … lieber Gott, es wird wirklich komisch klingen, aber er ist ein Zeitreisender.« Sie lachte, als sie das sagte, ein Lachen wie ein Schluckauf, dann schlug sie mit ihren Fäusten heftig auf ihre Oberschenkel. »Peter Wheat ist ein Zeitreisender. Jedes Kind, das er hergeholt hat, stammt aus der Zukunft. Rusty aus dem Jahr 1997. Becky Sawyer, Antonio … sie hatten alle die Zeitkrankheit. Sie …« Sie unterbrach sich. » Du warst auch krank, nachdem du in die Kolonie gekommen bist. Richtig krank.«
Mira fühlte sich jetzt noch kränker. Die ganze Zeit hatte die Antwort direkt vor ihrer Nase gelegen, in Hütte vierzehn. Und die ganze Zeit hatte sie recht damit gehabt, dass jeder, den sie getroffen hatte, auf irgendeine Weise relevant war in Bezug darauf, was Annie widerfahren war. Sie hatte Wochen verloren. »Ich lebe fünfunddreißig Jahre in der Zukunft, Lydia. Am 11. Juni 2003 waren Annie und ich auf Little Horse Key. Dann kam ein Mann mit einem Gipsarm.« Sie trat das Gaspedal durch, schaltete in den vierten Gang, wischte mit der Hand über die Scheibe, säuberte sie. »Er hat behauptet, er hätte Probleme mit seinem Motor. Er … hat mich bewusstlos geschlagen. Hat Annie entführt. Ich konnte sie psychisch spüren. Ich bin diesem Gefühl gefolgt und … und auf einem Strand 1968 herausgekommen.«
Lydia lehnte sich entgeistert zurück. »Das ist bei Gott die Wahrheit, nicht wahr.«
Es war keine Frage. »Ist … lebt Annie?«, fragte Mira.
»Ja, aber Peter … er hat einen Plan, etwas mit einem Mädchen namens Eva Wheaton, das auf Sugarloaf lebt.«
Was Mira in diesem Moment empfand, war eine eigenartige Mischung aus Entsetzen und Bewunderung. Sie war den Hinweisen gefolgt, die sich ihr darboten, und hatte einen Kreis geschlossen: Peter Wheat, Patrick Wheaton. »Wie weit noch?«
Lydia rieb die Windschutzscheibe sauber. »Vielleicht fünfhundert Meter.« Sie streckte den Arm aus und berührte Miras Arm. »Hast du irgendeine Waffe?«
»Nein. Du?«
Mira schüttelte ihren Kopf, ihr wurde klar, dass es egal war. Nichts unterhalb einer Atomexplosion würde diesen Mann aufhalten. Sie bog direkt hinter der weißen Kirche ab, und der Käfer holperte durch Schlaglöcher, die groß genug waren, ihn im Ganzen zu verschlucken, dann schnaufte er den Berg hoch.
»Welche Arznei kuriert eine Zeitkrankheit? Womit hast du Annie behandelt?«
»Keine Arznei, nicht im normalen Sinn. Meine Vorfahren, schon vor langer Zeit, waren Heiler. Was ich Rusty und Annie gegeben habe, ist eine Arznei für die Seele. Wir alle kommen an einen Punkt, in dem die Entscheidung zwischen Leben und Tod eine Entscheidung der Seele ist, verstehst du, was ich meine? Ich habe ihnen das Mittel gegeben, und ihre Seelen haben sich entschieden. Ich kann es nicht besser erklären. Wenn die Seele getan hat, wofür sie hergekommen ist, dann reist der Körper weiter. Wenn nicht, bleiben Seele und Körper hier, und es geschieht, was eben geschieht. Jetzt links.«
Mira fuhr hastig in die Kurve. Die Scheinwerfer huschten über Pinien, einen Pinienwald. An einer Stelle bildeten die Pinien praktisch einen Wall gegen den Regen und den Wind, und Lydia sagte, sie sollte die Scheinwerfer ausschalten. Der Wind war jetzt leiser, und sie konnte deutlich den Motor des Käfers hören und wusste, dass die Scheinwerfer völlig unwichtig waren. Wheaton würde den Motor hören, bevor er die Scheinwerfer sähe. Sie konnte entweder am Straßenrand halten und zu Fuß weitergehen oder ans Ziel rasen.
Sie schaltete das Fernlicht ein und trat aufs Gas.
Sie schoss aus der Kurve und sah etwas über die Straße kriechen, ein tropfnasser Hund lief dahinter her. Mira trat auf die Bremse, zog die Handbremse, und Lydia und sie sprangen gleichzeitig aus dem Wagen. Sie rannten hinüber zu dem Ding auf der Straße, der Hund knurrte und begann zu bellen, um sie fernzuhalten.
Es war menschlich.
Es war männlich.
Er hatte langes nasses Haar und trug nasse Sachen und ein Cape, das drei Nummern zu groß war, wie ein riesiger Ballon. Ein blutiger Lappen löste sich von seiner linken Hand, Blut lief aus
Weitere Kostenlose Bücher