Die Spur der verlorenen Kinder
zum Haus, seiner Vergangenheit. Jetzt war er unterwegs in die Zukunft.
Wheaton konnte nicht zurücksetzen, ohne gegen den Streifenwagen zu stoßen, also fuhr er vorwärts und wendete vor Rustys schrottreifem Chevy, dann fuhr er die Auffahrt entlang und hinaus auf die Straße. Die Scheibenwischer gingen hin und her, der Regen prasselte. Wheaton war bis auf die Knochen durchnässt und würde anhalten müssen, um sich umzuziehen, bevor er die Fähre nahm. Aber insgesamt schien das eines der kleineren Probleme darzustellen.
Obwohl er bereits seinen Fahrschein für die Fähre besaß – er hatte neulich nachts auf dem Weg zurück von Macon sechs gekauft – würde er trotzdem noch am Kassenhäuschen halten und ihn abgeben müssen. Und dann musste er die Fährfahrt überstehen. Um diese Nachtzeit würde höchstens eine Handvoll Reisender unterwegs sein, Misanthropen, missratene Teenager, Paare bei einem Rendezvous, Leute, die ihren Partner betrogen, die üblichen Hippies. Er würde niemandem auffallen.
Wenn er erst einmal Key West erreicht hatte, war er praktisch schon in Sicherheit.
Also fuhr er schneller und fand den Sturm sogar beruhigend; er fühlte sich darin beschützt, unsichtbar, nichts als ein weiterer Wagen, der durch das nasse Dunkel fuhr.
2
Mira lenkte den VW im alles auslöschenden Regen auf die Straße, eine aufgeregte Lydia hockte auf der Kante ihres Beifahrersitzes. Sie wischte wie eine Wilde die Innenseite der Windschutzscheibe, erst Miras Seite, dann ihre, doch die Lüftung funktionierte nicht, und das Glas beschlug gleich wieder. Mira öffnete schließlich das Fenster einen Spaltbreit, und der Regen wehte herein.
Lydia hatte vor dreißig Minuten gegen ihre Tür gehämmert. Sie weinte beinahe und flehte Mira an, sie zu fahren. Ein Freund von ihr steckte in der Klemme, sagte sie, und ihr Wagen sprang nicht an, und Diego war nicht da, also konnte sie sich auch keinen der Elektrowagen leihen, und bitte, bei Gott, bitte, würde Mira ihr diesen kleinen Gefallen tun? Mira warf sich in ihre Sachen, und sie liefen nach draußen zum Janis-Mobil, stellten aber fest, dass der VW undicht und der Rücksitz klatschnass war, das Wasser war sogar unter den Sitz gedrungen, sodass die Batterie feucht war und nicht funktionierte. Sie mussten den Rücksitz ausbauen und verbrachten die nächsten zwanzig Minuten damit, die Leitungen mit Handtüchern zu trocknen. Sie stopften noch weitere Handtücher um die Batterie herum und klebten Handtücher an den Rand des Rückfensters, wo die Leckstelle am schlimmsten war.
Angesichts der Heftigkeit des Sturms fürchtete Mira, dass es nicht lange helfen würde. Sie hoffte bloß, dass sie nicht irgendwo im Nirgendwo stehen blieben. Kein Handy, erinnerte sie sich.
»Kannst du nicht schneller fahren?«, fragte Lydia.
»Die Reifen sind ziemlich abgefahren, die Bremse greift nicht richtig, das Steuer ist locker. Nein, ich kann nicht schneller. Erzähl mir von diesem Freund von dir, der in der Klemme steckt.«
»Rusty. Er … oh, mein Gott, es ist zu kompliziert.«
»In was für einer Klemme steckt er?«
»Sein Stiefvater ist nicht ganz dicht, okay? Er … Rusty … ist ausgezogen und hat seine Sachen in meine Hütte gestellt. Er saß auf dem Sofa, als ich eingeschlafen bin. Er war nicht mehr da, als ich aufwachte, und ich … ich weiß, was er macht, und es ist … gefährlich.«
»Was macht er denn?« Mira rieb mit einem der Handtücher über die Scheibe, damit sie sehen konnte.
»Hier rechts.«
Mira schaltete runter und wiederholte ihre Frage. Lydia zündete sich eine Zigarette an und öffnete ihr Fenster einen Spalt, damit der Rauch entweichen konnte. »Er … er hat ein entführtes Kind in seinem Schuppen. Andere liegen in Gräbern hinter dem Schuppen. In Kindergräbern. Er … oh, lieber Gott, er ist so ein böser Mann … Drei der fünf Kinder sind gestorben. Ich habe für sie getan, was ich konnte, aber ich bin kein Arzt, es war nicht genug. Bloß Rusty und Annie haben überlebt, das war’s, zwei von fünf, und wir …«
Mira kurvte an den Straßenrand, trat auf die Bremse, der Motor soff ab. »Annie?« Sie konnte den Namen kaum aussprechen. »Das entführte Mädchen heißt Annie?«
»Ja, warum hältst du an?«
»Wie alt ist sie?«
»Dreizehn.«
»Hat sie lange dunkle Haare?«
»Äh, ja.«
Mira presste ihre Fäuste an ihre Augen. »Oh, mein Gott. Der Mann. Heißt er Peter?«
»Du kennst dieses Arschloch?«
»Annie … ist meine Tochter.« Es fiel ihr schwer, zu
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