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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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eine Straße. Eigentlich mehr einen Weg. Sie schaute nach rechts, links, wieder nach rechts. Der Kompass, dachte sie, natürlich, wie dumm von ihr. Sie grub ihn aus ihrem Rucksack. Sie war unterwegs nach Osten, und der Ort Tango – falls sie auf der Insel war – befand sich rechts von ihr. Aber wenn sie auf Tango Key wäre, dann wäre diese Straße asphaltiert.
    Der Kompass funktionierte jetzt prima, kein komisches Gedrehe, und sie begann, nach Süden zu gehen, ihre Flipflops klatschten an ihre Fußsohlen. Der Vogel wanderte auf den Riemen des Rucksacks, dann steckte er seinen Kopf unter Miras Haar, wo es vermutlich kühler war. Mira öffnete den Rucksack und zog eine zweite Flasche Wasser heraus. Wie die erste war auch diese entsetzlich warm, aber der Vogel trank das Wasser, das sie in den Verschluss goss, und sie selbst nahm ebenfalls mehrere große Schlucke, dann drehte sie die Flasche wieder zu.
    Bevor sie den Rucksack wieder schließen konnte, kletterte Dusty hinein und begann, an Annies T-Shirt herumzuzerren, versuchte, sich darin einzuwickeln. Mira wusste genau, wie der Vogel sich fühlte, sie verstand sein Bedürfnis nach Dunkelheit, nach etwas Weichem, einem sicheren Kokon. Sie ließ den Rucksack ein wenig offen und ging weiter.
    Bald dünnten die Bäume aus, und die Straße wurde breiter. Weiter vorn entdeckte sie an der linken Seite ein Motel, das aussah, als wäre es in den Sommermonaten geschlossen, und rechts davon eine Bar, vor der ein Dutzend Motorräder standen. TANGO RUM RUNNERS leuchtete das Neonschild. Sie hatte noch nie davon gehört, aber zumindest wusste sie jetzt, dass sie auf Tango war.
    Dort würde es ein Telefon und ein Klo geben, wo sie sich waschen und umziehen konnte. Sie trug unter ihrer Shorts und ihrem T-Shirt immer noch ihren Badeanzug. Sie hatte sich noch nie so dreckig gefühlt, so nach einer Dusche gesehnt. Ihr Haar, in dem Salz vom Strand klebte, war komplett verfilzt. Sein Schatten auf der Straße sah aus wie ein Gruselgespenst aus vergangenen Tagen, völlig wild und ungezähmt. Sie fuhr sich mit den Fingern hindurch und versuchte, es etwas besser herzurichten, aber es half nichts. Sie hatte in den Sachen, die sie trug, am Strand geschlafen, hatte sich weder die Zähne geputzt noch geduscht und fühlte sich im Grunde wie eine Höhlenfrau.
    Musik pulste aus der offenen Tür der Bar, Mick Jagger sang einen Song aus einem seiner allerersten Alben. Als Mira die Treppe hochging, kamen ihr drei Biker entgegen, sie lachten. Einer von ihnen warf Mira einen zweiten Blick zu und stieß einen sanften Pfiff aus. Der Sittich steckte plötzlich seinen Kopf aus dem Rucksack und erwiderte den Pfiff, nicht einmal, sondern sogar zweimal, und er pfiff so gellend, dass Mira zusammenzuckte. Die Biker starrten erst sie an, dann den Vogel, der jetzt ihren Arm hoch auf ihre Schulter kletterte und von dort aus noch zweimal pfiff.
    Dann lachten die Biker alle gemeinsam. »Hey, das ist ein guter Trick«, rief einer von ihnen.
    Der Vogel flog von Miras Schulter auf und flatterte davon, quietschend und pfeifend. Mira sah ihm einen Augenblick nach, dann eilte sie in die Bar.
    Musik stürzte sich auf sie. Eine blaue Rauchwolke hing in der Luft. Das Rauchverbot wurde hier offensichtlich nicht eingehalten, dachte sie, und vermutlich würde sie die nächsten Stunden auch nichts mehr hören können. Der ganze Laden war streng genommen eine schamlose Hommage an die Sechziger. Fluoreszierende Friedenszeichen in verschiedenen Formen und Farben bedeckten eine Wand, an einer anderen hingen etliche Poster von Sixties-Stars – Marilyn Monroe, deren Rock gerade hochwehte, JFK und Jackie, Jimi Hendrix und Janis Joplin, die Beatles, Mick Jagger, Eric Clapton und Mama Cass, Abbie Hoffman, Jack Kerouac, Jane Fonda, Peter, Paul and Mary.
    Mira ging hinüber an die Bar, sie schmeckte Salz, und einige Sandkörner klebten noch an ihrer Unterlippe. Sie wischte sich mit der Hand über den Mund und schaute hoch zu der runden Uhr über einer Reihe Schnapsflaschen: 9:09 Uhr. Neunen, zu viele Neunen dachte sie. Neunen bedeuteten Anfänge und Abschlüsse. »Stimmt die Uhrzeit?«, fragte sie.
    »Ja, Ma’am.«
    »Ein Glas kaltes Wasser und einen Kaffee, bitte. Und wo ist Ihr Telefon?«
    »Da hinten«, entgegnete der Barkeeper und deutete mit dem Daumen hinter sich. Er sah genauso retro aus wie der Rest der Bar, sein langes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, er trug ein Friedenszeichen um den Hals und ein T-Shirt mit

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