Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
Kaffee. »Das hätte ich nicht tun sollen.«
Ich blickte auf die Linie ihres Scheitels. »Mensch, wir müssen ja nicht gleich heiraten. Wir können erst mal ins Kino gehen.«
Es dauerte eine Weile, bis sie aufsah, dann hellte ein Entschluss ihr Gesicht auf. »Also gut. Kino. Auf deine Verantwortung.«
Von da an gingen wir ins Kino, jeden Tag, meist in die Nachmittagsvorstellung. Oft waren wir die Einzigen im Zuschauerraum, und ich erinnerte mich weder an die Titel noch an den Inhalt der Filme, die wir sahen. Nur an ihren Duft und die weiche Haut an ihrem Hals erinnerte ich mich. Am Ende der zweiten Woche bot uns das Cinema ein Abo an, das wir drei Tage nutzten, dann zog sie bei mir ein.
Sie kaufte Kräuter für die Fensterbank, kochte Paella und Lammschulter und wartete neben meinem Rechner.
»Musst du nicht arbeiten, Honey?«, fragte ich irgendwann.
»Ich habe gekündigt.«
Immer saß sie neben mir am Schreibtisch und sah mir zu, wenn sie nicht gerade in der Küche rumorte. An einem Freitag rief einer von den Brauhausjungs an.
»Lebst du noch, Alter?«
Ich freute mich. »Klar. Wann?« Wir verabredeten uns für den Abend.
»Kann ich mitkommen?«, fragte sie. Nein, sie konnte nicht mitkommen, verdammt noch mal. Ich wollte mit den Jungs was unternehmen, allein. Und ich hasste es, dass sie Tag für Tag neben meinem PC saß und nichts tat. Nichts als einkaufen, schnipseln und kochen. Es machte mich wahnsinnig. Konnte sie sich nicht mit einer Freundin treffen oder zu einem Volkshochschulkurs anmelden?
»Du musst gehen«, sagte ich.
Sie ging. Und kam nicht mehr wieder. In den ersten Tagen tat ich alles, was über Wochen liegen geblieben war, arbeitete meine Schreibschulden ab und ging abends mit den Jungs aus oder zu Toni, der mit seinem Pizzaofen verwachsen war. Ich atmete auf bis Weihnachten. Die Feiertage sollte ich bei meiner Mutter verbringen und sie zu Vater ins Altenheim begleiten.
»Wann kommst du?«, fragte sie einen Tag vor Heiligabend. Der erste Schnee war gefallen, vor dem Fenster schwebten einzelne Flocken zur Erde, Lichterketten hingen in den nassglänzenden Zweigen der Linden. Ich hatte keine neuen Aufträge bekommen. Manchmal war ich in die Spielhalle gegangen, hatte gewonnen und mir einen guten Tropfen gegönnt. Eine andere Frau hatte ich nicht kennengelernt.
»Ich komme nicht«, sagte ich. Aber ich ging doch hin. Mutter hatte einen deckenhohen Weihnachtsbaum aufgestellt, Päckchen und Teller mit Süßigkeiten darunter gestellt und ein Weihnachtsgesicht gemacht. Der Tisch war feierlich gedeckt, für vier.
»Florian ist tot, Mutter, und Vater fast.«
»Willst du lieber ein Bruststück oder lieber Keule?« Sie trug einen Gänsebraten auf, der eine Großfamilie zufriedengestellt hätte. Ob sie auch bei einer Mutter am Tisch saß? Sie hatte nie von ihrer Familie erzählt, hatte behauptet, sie habe keine. Ich hatte eine. Mutter.
In der Nacht kamen die Träume zurück. Schweißnass stand ich auf, kippte zwei Brandy. Draußen stürmte es, Schneegraupel peitschte gegen die Scheiben. Die Temperaturen waren weiter gesunken. Ich zitterte. Das letzte Traumbild hielt. Weiße Weite, Eis unter meinen Füßen, Florians Augen, die mir durch die Eisdecke entgegenstarrten. Ich trank noch einen Brandy und fuhr den Rechner hoch. Ein kleines, gelbes Viereck blinkte: 1 ungelesene E-Mail. Von ihr. Ich wünsche dir frohe Feiertage und ein gutes Neues Jahr.
Ich fuhr einen von den Hügeln hinab, die die Gletscher der Eiszeit gestaltet hatten, und hielt vor einer Straßensperre, dahinter führte die Straße ins Wasser. Ein Abschleppwagen lud einen PKW auf, zwei Polizisten in einem Streifenwagen sahen zu. Einer stieg aus und klopfte an meine Scheibe.
»Hier ist Schluss. Überschwemmung. Nehmen Sie die Umleitung«, sagte er, nachdem ich die Scheibe heruntergelassen hatte und zeigte in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich schaute zurück, mein Blick streifte die Rückbank, nur ihr Haar und die Nasenspitze schauten unter der karierten Decke hervor.
»Alles klar«, sagte ich, legte eilig den Rückwärtsgang ein, damit er nicht auf die Idee käme, eine Alkoholprobe zu machen oder uns zu mahnen, weil sie nicht angeschnallt war. Aber er wandte sich schnell ab und schlüpfte wieder in seinen trockenen Streifenwagen. Nach etwa einem Kilometer fand ich einen Abzweig nach links, kein Umleitungsschild, stattdessen eines nach Eberswalde. Am Stadtrand wohnte Ilona, die Schwester meiner Mutter. Wenn ich mich nur an die
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