Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
anfangen sollte, stand da und hörte den Regentropfen zu, die auf den Schirm fielen und dem Zischen der Reifen auf dem Asphalt. Schließlich fasste sie sich ein Herz und lief los, an einem türkischen Gemüseladen vorbei und einem afrikanischen Frisör, der mit Haarverlängerungen warb. Sie konnte sich nicht ganzgenau erinnern, in welcher Straße sie nachts angekommen waren, ihre Füße schon. Brachte sie es hinter sich, zumindest ersparte sie sich einen Abend in Langeweile.
Wenn sie nicht so neugierig wäre, was nun eigentlich genau … wenn sie nicht so viel Alkohol …
Sie kam an einem Haus an, das ihr vage bekannt vorkam. Die Namen auf den Klingelschildchen sagten ihr nichts. Die Tür war kaputt und ließ sich aufdrücken, im Hausflur der gleiche Geruch wie in dem von Lux. Zwei Etagen war sie hinabgelaufen und zwei stieg sie jetzt hinauf. Rechts eine Tür mit einem verstaubten Seidenblumenkranz, links ein zerkratztes Schloss und der Name direkt auf das Türblatt geschrieben. Mark Wieland. Was, wenn es nicht Mark war, nicht der Mark? Dann würde sie sich eben entschuldigen und wieder gehen. Keine Minute später wusste sie es.
Er stand da in Boxershorts und mit nacktem Oberkörper, Muskeln wie ein Schwergewichtler, das Haar zerzaust.
»Du? Ich dachte … wir wollten.« Er räusperte sich: »Sind wir nicht heute Abend verabredet?«, setzte ein Lächeln auf und warf einen Blick über die Schulter. »Jetzt ist es gerade … ganz schlecht.«
Er stottert, meine Fresse. »Ich glaube, du irrst«, sagte sie einer Eingebung folgend. Sollte er doch sehen, wie er aus der Nummer rauskam. »Du hast mich für ...«, sie sah auf die Uhr, »... jetzt bestellt. Noch nicht fertig? Ein wenig verschlafen? Dann warte ich solange.« Sie schob sich an ihm vorbei, was nicht ganz einfach war bei seiner Statur, und steuerte auf eine offene Tür zu. Das Zimmer war leer, alles sehr sauber und staubfrei, oder fast leer, bis auf einen riesigen Flachbildschirm, einen niedrigen Tisch mit einer Fernbedienung und einer modernen Couch mit einer Frau darauf.
Mark stand direkt hinter Julia. Keiner sagte etwas. Erst einmal. Dann drehte sich Julia um und blickte Mark in die Augen. Gleich sagt er, es ist nicht, wie du denkst .
Er sagte: »Es ist nicht, wie du denkst.«
Jetzt müsste sie sagen, wie ist es denn?
»Wissen Sie vielleicht, wie das Finanzamt dazu kommt, ihm meine Telefonnummer zu geben?«, fragte Julia die Frau auf der Couch, die für die Tageszeit unangemessen bekleidet war.
»Mark arbeitet beim Finanzamt«, antwortete sie brav. »Noch nicht lange. Wie ich«, fügte sie kleinlaut hinzu. Mark blitzte sie an.
Das war also auch erledigt. Julia hatte sich mehr Gedanken um Tratsch und um ihren Ruf gemacht, als nötig war. Münster war ein Dorf und Coesfeld sowieso, zumindest was die Gerüchte betraf. Mit einer Leichtigkeit in der Brust verließ sie die Wohnung, das Haus, ging die Straße hinauf, auf die der Regen prasselte, und kicherte schließlich, als sie geborgen in ihrem Auto saß. Sie machte einen Haken hinter Mark, und diesmal schwieg ihr Gewissen gnädig.
18
Neben mir ratterte ein LKW. Sonne und Feuchtigkeit tauchten die Tankstelle, das Gewerbegebiet dahinter und den bulligen Fahrer, der an seinem Truck hantierte in ein gleißendes, opalenes Licht. Bohrhämmer arbeiteten sich durch meine Hirnwindungen. Ich kaufte zwei große Becher Kaffee, Brötchen und Mettendchen, die hier Knackwurst hießen. Honey aß gerne ein deftiges Frühstück. Der Mann im Radio sagte weitere Schauer voraus, dann spielte er »Singing in the rain«. Ich schaltete ab. Mir rann die Zeit davon.
Das Navi hatte sich wieder sortiert und zeigte meinen Standort an. Neun Stunden und sechzehn Minuten bis nach Hause sagte es, wenn ich Autobahn vermeiden eingab. Die Option am Fluss entlang gab es nicht. Mich fröstelte. Ich ließ mich von der Dame im Navi zur markierten Route führen. Die Damen hatten mich immer irgendwohin geführt. Eine Weile rollte der Benz vor sich hin, und ich lauschte einem Kriminalhörspiel. Gar nicht schlecht gemacht. Nicht schlecht gemacht? Es hatte eine Zeit gegeben, da konnte ich eintauchen in einen Film oder in ein Hörspiel, das war wunderbar gewesen. Ich war nicht ganz sicher, wann das aufgehört hatte. Spätestens seit ich den Story-Job machte, fand ich keine Erlösung mehr in einem Buch oder Film. Ich analysierte zu viel, genoss zu wenig. Nur das Roulette oder der Einarmige halfen manchmal und hatten ihren Preis. Eigentlich hatte
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