Die Spur des Blutes (German Edition)
während Harper so schnell, wie er es wagte, durch das stille Viertel fuhr. Burnett wohnte nur ein paar Minuten entfernt, doch selbst das waren ein paar zu viel. Es war sowieso egal … er würde nicht mehr dort sein.
Jess kniff die Lippen zusammen. Trotzdem krochen die Tränen ihre Wangen hinunter.
Als sie sich Burnetts Haus näherten, das kein Zuhause war, sondern ein Ort, an dem er übernachtete … wo er sie gestern Nacht geküsst hatte … wo er ihr nach all diesen Jahren seine Ängste wegen ihrer Beziehung gestanden hatte … riss der dünne Faden der Hoffnung, an dem sie sich festgehalten hatte, um diesen Albtraum zu überstehen.
Jess gab die Nummer ein, die sie anrufen musste. Als er dranging, räusperte sie sich, damit ihre Stimme sachlich klang, als sie sagte: »Agent Gant, er hat sich ein weiteres Opfer geholt.«
Gant sagte etwas, doch Jess hörte ihn nicht, bis er sie noch einmal nach dem Namen und dem Ort fragte.
»Dunbrooke Drive in Mountain Brook«, sagte sie mit zitternden Lippen. »Police Chief Daniel Burnett.«
18
Dunbrooke Drive, 9:01 Uhr
Jess stand in der Mitte der Küche. Sie starrte auf die Stelle neben dem Kühlschrank, wo Dan sie erst vor ein paar Stunden auf den Tresen gehoben und voller Verlangen geküsst hatte. Die Fallakte lag immer noch auf dem Esszimmertisch. Alles war genauso, wie sie es gegen Mitternacht verlassen hatten.
Nur dass Dan nicht hier war …
Das Haus wimmelte von Kriminaltechnikern und Polizeibeamten. Deputy Chief Black und Sheriff Griggs organisierten gemeinsam mit Sergeant Harper die Arbeiten. Die Dentons waren mit ihrer Tochter ins Krankenhaus gefahren.
Als Andrea auf dem Sofa aufgewacht war, war sie allein, und Dans SUV stand in der Einfahrt. Die Sanitäter hatten keine Spuren von körperlicher Gewalt an ihr gefunden. Der Mann, den sie als den auf dem Foto in Jess’ Telefon identifizierte, war bereits am Haus gewesen, als sie eingetroffen war. Er war Andrea nach drinnen gefolgt. Ausgehend davon, dass Dan Annette am Telefon gesagt hatte, er habe mit Andrea gesprochen, musste er vielleicht dreißig Minuten nach Andrea angekommen sein.
Das Mädchen war hierhergekommen, weil sie dachte, sie könnte mit Dan darüber sprechen, wie ihre Eltern sie wahnsinnig machten, indem sie sie auf Schritt und Tritt kontrollierten. Nachdem sie vor nicht einmal zwei Wochen entführt und für mehrere Tage als Geisel gehalten worden war, konnte Jess diese Besorgnis verstehen. Andrea war kaum vier Tage wieder zu Hause. Mit den Nerven am Ende hatte sie sich an die einzige Person gewandt, von der sie wusste, dass sie Verständnis für sie haben würde. Dass Dan nicht da sein würde, damit hatte sie gar nicht gerechnet. Als Polizeichef wurde er nur selten mitten in der Nacht zu einem Tatort gerufen. Doch heute war es anders gewesen. Das Böse war in sein Leben getreten, und zwar im Kielwasser von Jess.
Sie hätte nie zurück nach Birmingham kommen dürfen. Schon längst empfand sie kein Entsetzen mehr. Sie fühlte sich wie taub. Und resigniert.
»Ma’am.«
Jess wandte sich zu Harper um. »Ja, Sergeant.«
»Wir fahren jetzt in die Innenstadt. Sind Sie hier fertig?«
Jess blickte sich um, wusste nicht, was sie tun sollte. »Ja.« Sie brachte ein Nicken zustande. »Ich bin fertig.«
»Deputy Chief Black hat eine Konferenz mit allen anderen Chiefs, Sheriff Griggs und Agent Gant einberufen. Anschließend soll eine Pressekonferenz stattfinden.«
»In Ordnung.«
Jess ging durch das Haus, unfähig, all den Blicken zu begegnen, die bei ihrem Auftauchen verhielten und sie anstarrten. Sie wusste, was sie dachten.
Dies war ihr Werk. Sie musste es wiedergutmachen.
Die Sonne hatte das Innere von Harpers SUV bereits in einen Ofen verwandelt. Jess ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder, ihre Tasche auf dem Schoß. Die Luft, die aus der Klimaanlage strömte, war stickig. Es war ihr egal.
Harper fuhr einige Minuten, bevor er etwas sagte. »Wie schätzen Sie die Situation ein, Ma’am?«
Er wollte wissen, ob sie glaubte, dass einer von beiden, Lori oder Dan, überleben könnte. Sie wollte sich zu ihm wenden und fragen, wie er darauf kam, dass sie es wüsste. Dies alles passte nicht in das Muster des Spielers – Spears’ Muster. Keine ihrer Theorien schien Bestand zu haben, eine nach der anderen zerbröselte, sobald sich etwas Neues entwickelte.
Jess schloss die Augen und kämpfte gegen den Ansturm von Gefühlen an. Es war bemerkenswert, wie Harper trotz allem die Ruhe bewahrte. Er hatte
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