Die Spur des Drachen
der Achtung gerecht werden, die man Jafir Kamal noch immer entgegenbrachte.
Die einzige Verbindung zu dieser längst vergangenen Zeit war der namenlose Junge auf dem zerknitterten Schwarzweißfoto.
Der Pfad durch die Wälder führte nun hügelabwärts. Ben entdeckte einen nachlässig mit Stacheldraht bespannten Zaun. Schilder mit Symbolen, die vor biologischen Kampfstoffen warnten, waren in unregelmäßigen Abständen aufgestellt worden.
Als er näher kam, sah Ben, dass Teile des Zauns fehlten. Den Abdrücken im halb gefrorenen Boden nach zu urteilen, waren Stücke des Zauns entfernt worden, um Lastwagen leichten Zugang zu einem Gebäude zu verschaffen, das Ben deutlich sehen konnte, nachdem er die Anhöhe erklommen hatte.
Die Lagerhalle war wie ein Bunker aus Schichtbeton gebaut und wirkte wie ein schmuckloser, rechteckiger Kasten, den man in den ansonsten unberührten Wald hatte fallen lassen. Die Halle war in einem hässlichen Grünbraun gestrichen, um sie für den unwahrscheinlichen Fall zu tarnen, dass jemand aus der Luft einen Blick darauf werfen wollte. Die kleinen Fenster lagen zurückgesetzt und deuteten auf ein einziges Stockwerk im Innern. Doch Ben wusste, dass solche Gebäude oft unzählige unterirdische Stockwerke aufwiesen.
Er näherte sich einer der Schneisen im Zaun, verbarg sich hinter einem Baum und wartete. Er hatte irgendeine militärische Präsenz erwartet, doch die Soldaten mussten gekommen und wieder verschwunden sein. Ben betrat das Gelände und näherte sich der Halle. Nirgends war eine Tür zu sehen, also umrundete er das Gebäude. Vorsichtig wählte er seinen Weg über getrockneten Schlamm, der nach verdorbenem Obst roch und lauschte auf jedes Geräusch, das auf die Anwesenheit einer anderen Person hindeutete.
Ben bewegte sich zur Vorderseite des Gebäudes und fand die ersten Hinweise darauf, dass tatsächlich etwas nicht stimmte: Deutlich waren die geschwärzten Brandstellen von Explosionen zu erkennen – zu beiden Seiten des Rahmens und über der Tür. Die Tür selbst bestand aus Stahl und war übersät mit Flecken in einem etwas helleren Farbton – ein Hinweis darauf, dass sie kürzlich repariert worden war. Auch das Schloss sah neu aus und besaß eine einfache Zuhaltung, wo man eine elektronische hätte erwarten dürfen.
Ben durchsuchte seine Taschen nach einem Gegenstand, den er als Werkzeug benutzen konnte, und fand den Kugelschreiber, den er sich tags zuvor in der Mietagentur geliehen hatte. Er nahm ihn auseinander und schliff die Spitze am Beton, bis sie dünn genug war, damit er sie als Dietrich benutzen konnte. Es dauerte einige Minuten, dann aber klappte es. Die Spitze ließ sich leicht ins Schloss schieben. Die Zuhaltung aufzubrechen, blieb eine schwierige Aufgabe, die Ben nur mit viel Mühe meisterte.
Endlich schwang die Tür auf und gab den Weg frei in eine Vorkammer. Ben bemerkte, dass das Licht aus Solarzellen gespeist wurde. Dies erklärte, warum die Anlage noch immer mit Strom versorgt wurde. Er sah keine Spuren von Gewehrfeuer oder Explosionen. Es hatte den Anschein, als wären die Eindringlinge einfach in die Anlage hineinmarschiert, nachdem die Haupttür aufgebrochen war.
Vorsichtig bewegte Ben sich weiter und betrat die erste einer Vielzahl gesicherter Abteilungen, in denen die eingemotteten Ergebnisse von Untersuchungen lagen, die während des Kalten Krieges vorgenommen worden waren. Danach folgte ein Munitionsdepot. Es war leer, roch muffig und war allem Anschein nach seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden.
Die nächsten acht Kammern waren ebenfalls leer. Ben ging von einer zur anderen, lauschte auf das blechern klingende Echo seiner eigenen Schritte und versuchte, sein Wissen über diese Anlage in Einklang zu bringen mit dem, was er ansonsten schon wusste.
Anatoljewitsch, der einstige KGB-Agent, der dieser Anlage zugeteilt gewesen war, hatte Kisten mitgehen lassen, die irgendeine Waffe enthielten, die man hier gelagert hatte – mit der Absicht, diese Waffe für zehn Millionen Dollar in Rohdiamanten zu verkaufen. Anatoljewitsch hatte deutlich zum Ausdruck gebracht, dass diese geschäftliche Vereinbarung bereits einige Zeit bestand. Die Invasion, die hier vor kurzem stattgefunden hatte, schloss Ben, war daher offensichtlich nicht von Anatoljewitsch initiiert worden. Dritte hatten mitbekommen, was innerhalb dieser Wände gelagert wurde und waren hierher gekommen, um es zu stehlen.
Ben ging weiter, hoffte auf irgendeinen Hinweis. Victor Stepanski
Weitere Kostenlose Bücher