Die Spur Des Feuers
bin überhaupt nicht zivilisiert. Ich liebe Gewalt. Ja, ich habe mich auf die Seite der Guten geschlagen, aber ich hätte genauso gut abrutschen können. In einigen Berufen ist Gewalt erlaubt, sogar willkommen. Ich musste mir einen Käfig suchen, aus dem ich nicht so leicht ausbrechen konnte.«
»Einen Käfig …«
»Ein Käfig ist gar nicht so schlecht, wenn man ihn selbst gewählt hat.« Er wandte sich zum Gehen. »Und ich gönne mir hin und wieder ein paar Vergnügungen, damit es mir nicht zu langweilig wird.«
»Was für Vergnügungen?«
Seine Augen funkelten, als er sie über die Schulter hinweg ansah. »Zum Beispiel Neugier. Meine Neugier ist unersättlich und sie muss befriedigt werden. Vergessen Sie das nicht, Kerry.« Er öffnete die Tür. »Ich sage Brad, er soll zu Ihnen kommen, falls er schon zu Ende telefoniert hat.«
»Okay.« Nachdem er gegangen war, schaute sie nachdenklich auf die Tür. Georges Verhalten ihr gegenüber hatte sich deutlich geändert, was sich allein schon daran ablesen ließ, dass er sie auf einmal mit ihrem Vornamen anredete. Und seine letzte Bemerkung war zweifellos als Warnung gemeint gewesen.
George mochte es nicht, wenn man ihn im Dunkeln tappen ließ, zudem war er offenbar scharfsinniger, als sie vermutet hatte.
Nicht dass sie ihn als Gefahr betrachtete, doch sein trockener Humor und seine Direktheit hatten sie völlig verblüfft, obwohl Silver ihr seinen Werdegang beschrieben hatte. Sie würde sich fortan besser vor ihm in Acht nehmen. Auf seine Art war er womöglich wesentlich gefährlicher als Silver.
Aber allein der Gedanke, dass sie anfing, Silvers Macht herunterzuspielen, war beunruhigend. Sie wurde allmählich zu vertrauensselig ihm gegenüber.
Nein, das durfte nicht sein. Wie viele Zweifel waren ihr in den Sinn gekommen, seit sie aufgewacht war? Es waren genug gewesen, doch sie hatte sie einfach ohne nachzudenken beiseite geschoben.
Weil sie wollte, dass er zu den Guten gehörte. Sie wollte ihm vertrauen. Ach, Mist!
Sie schob das Tablett weg und stieg aus dem Bett. Sie sollte sich nicht so viele Sorgen machen. Die Erfahrung der vergangenen Nacht war seltsam und irritierend gewesen, jetzt dürstete es sie nach Erklärungen. Wahrscheinlich hatte sie noch Zeit, sich das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen, bevor Silver kam. Sie wollte wach und gefasst sein, wenn sie ihm entgegentrat.
Ein frommer Wunsch. Sie hatte sich nicht mehr wach und gefasst gefühlt, seit sie Silver zum ersten Mal begegnet war.
Silver betrachtete ihr Frühstückstablett, als sie zehn Minuten später aus dem Badezimmer kam. »Sie haben ja fast Ihr ganzes Frühstück aufgegessen. Sehr gut.«
»Schön, dass Sie das freut.« Sie setzte sich aufs Bett und schob die Füße in ihre Pantoffeln. »Wie geht’s Gillen?«
»Nicht gut. Kann sein, dass ich hinfahren muss, um nach ihm zu sehen. Ich kann ihn nicht mehr lange hinhalten.« Er setzte sich in den Sessel. »Und wie geht es Ihnen heute Morgen?«
»Sie reden schon wie ein Seelenklempner. Es geht mir gut, danke.«
»Sie brauchen nicht gleich so gereizt zu reagieren. Es war nur eine Frage.«
»Ich bin nicht Gillen. Ich brauche Ihre ›Dienste‹ nicht, damit ich mich wieder fange. Es gibt nur eins, was ich von Ihnen brauche, und das haben Sie mir letzte Nacht nicht gegeben.«
»Ich habe Ihnen gesagt, das geht nicht über Nacht. Beim nächsten Mal werden wir vielleicht mehr Fortschritte erzielen.«
»Oder auch nicht. Wenn Sie warten müssen, bis ich einschlafe, kann es Wochen dauern, bis –«
»Wenn wir noch ein paar Mal zusammen gewesen sind, brauche ich nicht mehr auf die REM-Phase zu warten. Aber fürs erste Mal war es einfacher so. Dann brauchen Sie sich nur zu entspannen und schon bin ich da.«
Wenn wir noch ein paar Mal zusammen gewesen sind. Und schon bin ich da …
Die Worte kamen ihr unglaublich intim vor. Vielleicht waren es aber auch gar nicht die Worte, vielleicht war es die Erinnerung daran, wie sie ihn im Schlaf beobachtet hatte, den Kopf gegen den Stamm der Trauerweide gelehnt. Sie befeuchtete ihre Lippen. »So leicht wird es für Sie sein?«
»Wenn Sie mir helfen.«
»Letzte Nacht haben Sie keine Hilfe gebraucht. Sie hatten alles unter Kontrolle.«
»Und das geht Ihnen gegen den Strich.« Er seufzte. »Sie können nicht beides gleichzeitig haben, Kerry.«
Sie wandte sich ab. »Es hat mir Angst gemacht. Ich hatte nicht mit den Gefühlen gerechnet.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Ich brauche nicht
Weitere Kostenlose Bücher