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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Nagasaki verlassen. Insbesondere, wenn Sanos Verdacht zutraf, was die Lichterscheinungen betraf, war es für seinen Gefolgsmann in dieser Stadt zu gefährlich. »Keine Widerrede, Hirata-san«, sagte er, »aber du wirst morgen die Heimreise nach Edo antreten und …«
    Sanos Stimme verebbte, als in der Ferne plötzlich lila, weiße und grüne Lichter auf dem Meer blinkten.
    »Verschwinde, Hirata!«, raunte er.
    »Nein!«
    Die Lichter bewegten sich in Richtung Deshima, wurden größer und heller. Zähneknirschend beschloss Sano, Hirata bei sich zu behalten. Ihn jetzt fortzuschicken würde womöglich die Aufmerksamkeit der Wachen erregen oder hätte gar einen neuerlichen Angriff des Bogenschützen zur Folge, der Sano in der Nacht zuvor verwundet hatte. Die Lichter, von denen Rauch aufstieg, bewegten sich derweil näher an die Küste Deshimas heran. Eine Brise trug stechenden Brandgeruch zu Sano, der nun einen dunklen Schemen unter den gleißenden Lichtern auszumachen glaubte; hinter der Lichterscheinung schimmerte Kielwasser im Mondlicht.
    »Ein Boot!«, flüsterte Hirata, der offenbar dieselben Beobachtungen gemacht hatte.
    Er und Sano sahen, wie die Leuchterscheinung sich dem Schleusentor auf Deshima näherte. In dem farbigen Licht konnten sie sehen, wie die Torflügel geöffnet wurden; dann stiegen dunkle Gestalten die Treppe bis zum Wasser hinunter.
    »Die Holländer?«, murmelte Hirata.
    »Oder die Wachsoldaten auf der Insel.« Sano bemerkte, dass eine Schaluppe verschwunden war, die er kurze Zeit zuvor noch gesehen hatte.
    Abrupt erlosch das Licht, und Dunkelheit senkte sich über die Insel. Sano fluchte. »Los, Hirata, rudere zur Insel!«
    Er durchtrennte die Leinen, mit denen das Boot vertäut war. Hirata setzte sich in die Bootsmitte und ruderte mit kräftigen Zügen in Richtung Deshima. Das Boot glitt über das schwarze, vom Mondlicht silbern gesprenkelte Wasser. Ein kalter, feuchter Wind wehte, doch in seiner gespannten Erwartung spürte Sano ihn kaum. Er war sicher, endlich auf der Fährte von Jan Spaens Mörder zu sein.
    Plötzlich leuchtete das Licht wieder auf, funkelte violett auf dem Wasser im Süden der Insel und bewegte sich in Richtung Hafenausfahrt. Um nicht den Anschluss an die Lichterscheinung zu verlieren, ruderte Hirata schneller. Um ihn und Sano herum ragten die schwarzen Umrisse der Schiffe empor, die im Hafen vor Anker lagen. Die Decks waren leer. Schliefen die ausländischen Besatzungen, oder hatten sie sich aus Angst vor der geisterhaften Lichterscheinung in den Bäuchen ihrer Schiffe versteckt?
    »Du musst uns noch näher heranbringen, Hirata«, sagte Sano leise, sodass seine Stimme nicht übers Wasser getragen werden konnte.
    Keuchend versuchte Hirata, den Abstand zwischen ihrem Boot und der Lichterscheinung zu verringern. Sano spähte nach vorn. War da wirklich ein Boot unter dem grellen Licht? Saß da tatsächlich ein Mann in der Bootsmitte und ruderte, während am Bug ein Fahrgast saß? Waren es Menschen, oder waren es Geister, wie alle behaupteten? Sano glaubte nicht an Gespenster; dennoch schauderte er unwillkürlich.
    »Vielleicht ist es Urabe«, sagte er und erzählte Hirata mit leiser Stimme von seiner Begegnung mit dem Kaufmann und dem jungen Kiyoshi.
    Sie gelangten zum schmalsten Abschnitt der Hafeneinfahrt; zwischen bewaldeten Klippen hindurch schien es hinaus aufs offene Meer zu gehen. Dann aber bewegte die Lichterscheinung sich scharf nach rechts.
    »Sie will zur Küste!«, rief Sano leise. »Schneller, Hirata. Dort schnappen wir sie uns!«
    Hirata folgte dem Licht – das Augenblicke später so plötzlich verschwand, als wäre es vom Dunkel der Nacht verschluckt worden. Nur der schwache Geruch von Rauch lag noch in der Luft.
    »Rudere die Küste entlang«, befahl Sano.
    Doch die Küstenlinie war zerklüftet. Immer wieder musste Hirata das Boot um Landzungen und felsige Klippen herumlenken, die zum Teil unter Wasser lagen. Hoch über ihnen ragten die Bäume wie eine lebendige, im Wind wogende schwarze Mauer auf. Die Wellen brachen sich rauschend und zischend an der felsigen Küste. Sano spähte angestrengt in die Dunkelheit, lauschte aufmerksam nach verräterischen Geräuschen.
    Nichts.
    Als die Gefährten die Stelle erreichten, an der das violette Licht so plötzlich verschwunden war, sahen sie einen schmalen Einschnitt in der Felsküste.
    »Das Licht – was immer es sein mag –, muss hier hineingefahren sein«, meinte Hirata und ruderte das Boot in den engen Kanal, in dem

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