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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Die Geräusche der Schaufeln, das Rascheln der Bäume und das Stampfen der Pferdehufe begleiteten seinen nichts sagenden Monolog.
    »Jan Spaen war ein mutiger und tüchtiger Kaufmann«, übersetzte Iishino und zog die Schultern hoch, denn ein feuchter Wind fuhr über das Plateau. Oder machten Sanos prüfende Blicke ihm zu schaffen? »Er hat neue Märkte eröffnet und immense Gewinne für die Ostindische Kompanie erwirtschaftet. Er war seit zehn Jahren mein Partner, und ich bedaure zutiefst, dass er nicht mehr unter uns ist …«
    Sano schenkte dem Rest dieser farblosen Lobrede eines Mordverdächtigen, der seinem Groll auf den Verblichenen schwerlich bei dessen Beisetzung Ausdruck verleihen würde, kaum mehr Aufmerksamkeit. Stattdessen beobachtete er Iishino und versuchte – mit einigen Schwierigkeiten – ihn sich als Mörder vorzustellen. Hatte diese Witzfigur Jan Spaen erschossen? Sano musste daran denken, dass Iishino schon beim bloßen Anblick von Spaens Leiche das große Zittern bekommen hatte. Wie hätte ein solcher Mann Spaen verstümmeln und Pfingstrose die Kehle durchschneiden können?
    Aber vielleicht war Iishinos Reaktion beim Anblick der Leiche ja aus Angst ausgelöst worden, dass jemand ihm verräterische Schuldgefühle anmerken könnte. Iishino hatte Zugang zu den Lagerhäusern auf Deshima. Er beherrschte die Sprache der Barbaren, sodass er verräterische Absprachen mit ihnen treffen konnte. Er hatte einen besorgten Eindruck gemacht, als Sano ihn gefragt hatte, weshalb Direktor Spaen die Geschäftsbücher erst auf den neuesten Stand gebracht hatte, nachdem die holländischen Handelsgüter längst verkauft waren. Vielleicht war Iishino deshalb besorgt gewesen, weil er gewusst hatte, dass Spaen durch diese falschen Einträge in die Geschäftsbücher die Schmuggeleien vertuschte – und Iishino hatte vermeiden wollen, dass Sano dahinterkam. Und noch etwas kam hinzu: Niemand anders hatte Sano vor Gericht so schwer belastet wie Iishino. Der Dolmetscher war Sano nicht nur unsympathisch – inzwischen verachtete er ihn zutiefst.
    Iishino beendete die Übersetzung der Grabrede von Vizedirektor deGraeff. Nun war Dr. Huygens an der Reihe, ein paar Worte zu sagen.
    Doch der Arzt schwieg erst einmal längere Zeit, stand bloß mit gesenktem Kopf neben dem Sarg. Der Nieselregen lag wie ein feiner Nebel in der Luft. Erde flog aus der Grube, die von den Arbeitern inzwischen brusthoch ausgehoben war. Schließlich sprach Huygens zwei kurze Sätze.
    »Mögen uns all unsere Sünden vergeben werden«, übersetzte Iishino. »Ruhe in Frieden.«
    Den doppeldeutigen Worten des Arztes war zu entnehmen, dass auch er sich irgendetwas hatte zu Schulden kommen lassen. Augenblicklich wurde Sano aus seinen Grübeleien über Iishino gerissen; einmal mehr befürchtete er, Dr. Huygens zu schnell sein Vertrauen geschenkt zu haben. Hatte er bei ihrem Gespräch irgendwelche Hinweise übersehen? Konnte der Arzt tatsächlich Spaens Mörder sein?
    Auch die drei anderen Holländer hielten kurze Grabreden. Anschließend zogen die Arbeiter die Seile unter dem Sarg hindurch und ließen ihn in die Grube hinunter. Jeder Barbar warf eine Hand voll Erde auf den Sarg; dann schaufelten die Arbeiter das Grab zu. Sano überlief eine Gänsehaut bei der Vorstellung, dass Spaens Leichnam langsam unter der Erde verrottete. Um wie vieles sauberer und endgültiger war seiner Meinung nach die buddhistische Tradition der Leichenverbrennung. Doch Sano hatte nicht die Zeit, über die Unterschiede zwischen japanischen und holländischen Totenfeiern oder Dr. Huygens’ mögliche Schuld nachzusinnen: Verstohlene Blicke um sich werfend, ging Dolmetscher Iishino zu der Straße, die den Hügel hinunterführte.
    Sano folgte ihm, eilte an den Soldaten vorüber und bahnte sich einen Weg durch die Reihen der Zuschauer. Iishino rannte bereits die Straße entlang; seine Sandalen klatschten auf den Pflastersteinen. Doch Sano hatte den Dolmetscher rasch eingeholt, packte ihn am rechten Arm und wirbelte ihn zu sich herum.
    »Nicht so schnell, Iishino«, sagte er.
    Grinsend zuckte der Dolmetscher mit den Schultern. Er stieß ein hohes, nervöses Kichern aus und sagte: »Verzeiht, sôsakan-sama , verzeiht. Wenn Ihr mich jetzt bitte loslassen würdet …« Stattdessen verstärkte Sano den Druck seiner Hand, sodass Iishino laut aufstöhnte.
    »Weshalb habt Ihr all diese Lügen über mich erzählt?« Sanos Stimme war rau vor Verachtung. Er stieß Iishino mit dem Rücken gegen

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