Die Spur fuehrt nach Tahiti
wieder einmal in der Akte, bis er eine bestimmte Stelle gefunden hatte. „Geschnappt, und zwar mit genau fünfzehn Mark achtundsechzig Pfennigen in der Tasche. Mitten am hellichten Tag vor einem Waschsalon in der Knesebeckstraße —“
„Was für ein belämmerter Tag“, warf der Häftling Nummer 105 ein. „Ein rabenschwarzer Freitag. Ich hätte im Bett bleiben sollen
„Über Ihren Anteil an der Zweimillionenbeute haben Sie bei der Polizei und auch später im Prozeß die Aussage verweigert. Das heißt, gelegentlich haben Sie behauptet, daß Ihnen das ganze Geld geklaut worden sei. Aber das hat Ihnen der Richter nicht abgenommen. Noch kurz vor der Urteilsverkündung hat er Ihnen angeboten, ein volles Jahr Ihrer Strafe zu streichen, wenn Sie verraten würden, wo das Geld versteckt ist. Und was haben Sie geantwortet?“
„Hoher Gerichtshof, ich wüßte nicht — hab’ ich damals geantwortet ich wüßte nicht, wie ich nur durch Herumsitzen in einem Jahr so viel Geld verdienen könnte -“
Es war an einem Tag im Juli gewesen, als die englische Königin Berlin besucht hatte und dabei im Kassenraum des „Kaufhauses des Westens“ die Tresortür in die Luft geflogen war.
Bereits ein paar Monate später, im Dezember, hatte Manni Zasche seinen Prozeß. Die komplette Presse war angerückt, und er war an diesem Tag der meistfotografierte Mensch in der Stadt. Als es dann vor den hohen Fenstern dunkel geworden war, hatte ihn der Richter zu genau vier Jahren und drei Monaten Knast verknackt, während Paul Schulz mit einem Freispruch in der Tasche aus dem Gerichtssaal spaziert war.
Und als dann Manni mit der Häftlingsnummer 105 in Moabit seine Zelle im Block D bezog, da war sein Kumpel Ekke Krumpeter bereits ein gutes halbes Jahr auf Fakarava, wo sich in diesem Augenblick die „Aurora“ wieder einmal vorsichtig durch den engen Kanal im Korallenriff gemogelt hatte und jetzt am Pier festmachte. Die Männer von der Deckmannschaft arbeiteten an den Winden, schwere Taue flogen durch die Luft und wurden am Ufer um die Poller geschlungen.
Unter den Eingeborenen, die sich neugierig am Strand eingefunden hatten, hüpfte Tagi von einem Bein aufs andere. Er schwenkte zur Begrüßung irgendein buntes Tuch wie eine Fahne über dem Kopf. Krumpeter hatte ihn wie einen tanzenden Farbfleck schon bei der Einfahrt in die Lagune entdeckt.
Zuerst kam der Baron über die Gangway herunter. Mit seiner vergammelten schwarzen Aktentasche und dem dünnen Spazierstock mit dem Goldknauf unter dem Arm. Im weißen Rohseidenanzug, den gleichfalls weißen Panamahut aus der Stirn geschoben und seine Pfeife im Mund. Dicht hinter ihm Ekke Krumpeter. Auch er in Weiß, und zwar in dem Leinenanzug, der ihn gelegentlich an ein gewisses Berliner Warenhaus erinnerte.
Oben an der Reling stand der Kapitän der „Aurora“; den kümmerlichen Rest einer Zigarette an der Unterlippe, blickte er ihnen nach.
„Wieder einmal mehr meine Gratulation, capitaine“, rief der Baron zu ihm hinauf. „Ihr verdammter alter Kahn ist doch das sicherste Schiff in der ganzen Südsee.“
„Au revoir, Baron, und bis zum nächsten Mal“, rief der Mann mit der goldumborteten Mütze zurück. Er schnippste seine Zigarettenkippe über Bord, und dann drehte er sich zu seinen Männern um. „Los, an die Ladeluken, wir haben nur eine Stunde Zeit, wenn wir noch vor der Flut auslaufen wollen
Der Baron hatte Krumpeter in den vergangenen Monaten schon dreimal nach Nuku Hiva mitgenommen, ihn dort den Perlenhändlern vorgestellt und als seinen Nachfolger eingeführt.
„So, das war’s dann für mich ,“ sagte er jetzt, als sie den Pier erreicht hatten. Er blieb stehen und tippte Ekke mit seinem Spazierstock vor die Brust. „Beim nächsten Mal mußt du ohne mich auskommen, mein Sohn Er betrachtete Krumpeter durch eine Wolke Pfeifenrauch. Mittlerweile duzte er den jungen Mann mit den semmelblonden Haaren, und daß er gerade „mein Sohn“ zu ihm gesagt hatte, das war nicht bloß so dahingeredet. „Es ist wie ein Abschied, und Abschiede sind fast immer zum Heulen —“
Er schüttelte den Kopf über sich selbst und lächelte plötzlich. „Die Händler auf Nuku Hiva sind gerissene Gauner, was du bestimmt mitbekommen hast. Laß dich von ihnen nie übers Ohr hauen. Und hier die Fischer auf Fakarava vertrauen dir. Aber sei deshalb nicht zu gutmütig, und kassiere von jedem Verkauf deine zwanzig Prozent, wie sie das von mir schon seit Jahren gewohnt sind.“ Er lächelte wieder.
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