Die Spur fuehrt nach Tahiti
kein Spielverderber, mach endlich den Mund auf, du Schlitzohr!“
„Also, erstens zahlt man da drin keine Miete“, sagte Manfred Zasche endlich. „Es gibt keinen Ärger mit dem Finanzamt, keine Telefon- oder Gasrechnung, keinen Heizungszuschlag, keine Strafzettel für falsches Parken. Die Garderobe ist gratis, das Licht ist gratis, und das Fernsehen ist gratis. Das Essen ist nicht immer allererste Klasse. Aber ansonsten ist so ein Knast das reine Schlaraffenland. Es fällt einem ordentlich schwer, das alles hinter sich zu lassen.“
Die Zeitungsleute lachten, machten sich Notizen und feuerten weiter ihre Blitzlichter ab. Selbstverständlich ritten sie immer wieder und immer mehr auf der verschwundenen Million herum.
Aber Zasche lächelte zu allen Fragen nach dem Geld jedesmal so unschuldig wie ein neugeborenes Kind und entschuldigte sich am laufenden Band. „Dazu kann ich Ihnen beim besten Willen nichts sagen, die Piepen sind mir ja leider geklaut worden, wie Sie wissen.“
„Nehmen wir dir aber nicht ab, Manni!“
„Schade, dann ist das Ihr Problem, meine Herren.“ Ein aalglatter Politiker hätte die Burschen auch nicht besser abservieren können. Der soeben entlassene Häftling zeigte ein pausenlos lächelndes Pokergesicht und stand artig Rede und Antwort, ohne wirklich etwas zu sagen.
Schon nach einer Viertelstunde stand Manfred Zasche wieder allein da.
„Mach jetzt keine dämlichen Fehler“, rief noch einer der Fotografen, bevor er in seinen VW kletterte. Und ein anderer wünschte: „Laß es dir gutgehen, und halt die Ohren steif!“ Dabei ratterte er auf einem schweren Motorrad an ihm vorbei. Wie aufgescheuchte Hühner waren die ganzen Pressefritzen plötzlich wieder in alle Himmelsrichtungen auseinandergeflattert. Ihre Redaktionen warteten ja auf ihre Artikel und Fotos.
Manfred Zasche blickte sich um.
Auf der anderen Straßenseite wurde vor einer Bäckerei gerade ein Lieferwagen ausgeladen, vor einem Gemüseladen warteten ein Paar Kunden darauf, bedient zu werden, und auf einer Bank saßen drei alte Leute nebeneinander und hielten ihre Gesichter in die Sonne.
Der strohblonde Mann war mißtrauisch. Jener junge Bursche, der in einem weißen Kittel gerade drüben einen Korb zu dem wartenden Lieferwagen trug, konnte ein verkleideter Kriminaler sein. Vielleicht hatte sich die Polente aber auch unter die Leute vor dem Gemüsegeschäft gemogelt oder unter die Senioren auf der Parkbank.
Denn daß er jetzt auf Schritt und Tritt beschattet wurde, darüber war sich Manfred Zasche im klaren.
Als ein Taxi angerollt kam, hob er den Arm. Schließlich hatte er runde tausend Mark Entlassungsgeld kassiert. Arbeitslohn für viereinhalb Jahre, abzüglich, abzüglich, abzüglich — Schwamm drüber.
„In die Uhlandstraße zur ,Melone’ , gleich nach der Lietzenburger“, sagte Manni, als sein Segeltuchkoffer im Gepäckraum verstaut war.
„Man hat Sie wohl gerade erkundigte sich der Fahrer nach einer Weile neugierig. Er beobachtete seinen Gast immer wieder aus den Augenwinkeln im Rückspiegel.
„Ja, man hat mich gerade…“ knurrte Zasche patzig. „Ist ja wohl die superdämlichste Frage, wenn Sie mich mit meinem Koffer direkt vor dem Knast auflesen. Lassen Sie Ihr blödes Gequatsche, und stellen Sie lieber das Radio lauter.“
Der Taxifahrer zog ein beleidigtes Gesicht und schwieg für den Rest der Strecke.
Manfred Zasche drehte sich gelegentlich um und blickte hinter sich. Es gab aber nichts zu entdecken, was nach Verfolgung gerochen hätte.
Die „Melone“ war eine echte Berliner Kneipe. Und in der „Melone“ wartete Paule Schulz. Als er seinen kräftigen und großgewachsenen Freund umarmte, hatte er nasse Augen.
Neben Zasche wirkte er klein und dünn wie ein Handtuch oder Bügelbrett. Er trug dicke Brillengläser und hatte eine Fistelstimme.
„Mensch, Manni“, sagte er.
„Mensch, Paule“, sagte Zasche. Jetzt fang nicht an zu heulen, ich bin ja wieder draußen.“
„Ja, nach fast viereinhalb Jahren bis du wieder draußen…“
„Lange Zeit“, meinte der gerade entlassene Häftling, und jetzt sah es beinahe so aus, als ob auch seine Pupillen ins Schwimmen kämen. „Ach was, vorbei ist vorbei, laß uns was trinken. Hallo, du da, zwei Bier vom Faß, aber dalli!“
„Sehr wohl, zwei Bier vom Faß“, wiederholte ein Junge von allerhöchstens fünfzehn Jahren. Er servierte am Nebentisch gerade Erbsen mit Würstchen. Er hatte ein buntkariertes Hemd an und Jeans. Der Knabe hieß
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