Die Staatskanzlei - Kriminalroman
nicht selten in seiner Berufslaufbahn als die klügste Form der Kommunikation erwiesen.
Hinzu kam, dass es um seine Nerven nicht zum Besten stand. Er kam sich vor wie im Hamsterrad. Die nie enden wollende Flut von Anrufen und SMS auf seinem Handy, die Mails in seinem Computer und ein unaufhörlich klingelndes Telefon stellten den routinierten Regierungssprecher auf eine harte Probe. Sein bisher unverkrampftes Verhältnis zu den Journalisten erlitt Blessuren. Selbst vor seiner Wohnung lauerten sie ihm auf.
Die Fragen, mit denen er sich nach dem Mord herumschlagen musste, empfand er als Zumutung. Ob Heise im Rotlichtmilieu verkehrt, eine heimliche Geliebte gehabt und ein Doppelleben geführt hatte? Wagner verspürte nicht die geringste Lust, Nabelschau zu betreiben und sich mit dem Sexleben eines früheren Kollegen zu beschäftigen.
Als es an seiner Bürotür klopfte, erwartete er nichts Gutes und wurde angenehm überrascht. Im Türrahmen stand Sybille Becker, Mitte zwanzig und Persönliche Referentin des Ministerpräsidenten. Ihre roten, lockigen Haare, ihre großen braunen Augen, die wohlgeratenen Rundungen ihres Körpers, alles an ihr gefiel ihm. Am meisten faszinierte ihn ihr Lächeln. In ihrer Gegenwart entwickelten seine Schlagfertigkeit und sein Witz ungeahnte Kräfte, nur weil er sie lächeln sehen wollte.
Für sie hätte er sogar seine Lebensplanung, in der baldige Heirat nicht vorgesehen war, überdacht. Leider war sie an einen stinklangweiligen Kerl namens Jakob aus Hameln vergeben. Für Wagner stand fest, der Mann war ein Nachkomme des Rattenfängers. Wie sonst ließ sich erklären, dass Sybille auf einen solchen Stiesel scharf war?
Die beiden Männer hatten sich ein einziges Mal auf dem Hoffest der Staatskanzlei getroffen, Maß genommen und beschlossen, sich nicht zu mögen. Als der Kerl Sybille auch noch vor seinen Augen geküsst hatte, hatte Bernd sich in die Steinzeit zurück gewünscht. Der Stein, mit dem er Jakobs Visage gerne poliert hätte, war dicker als die prächtigsten Exemplare aus der Sammlung im Historischen Museum.
Sybille setzte sich auf seine Schreibtischkante. Niemand außer ihr durfte das. Mit ihrem kariertem Rock, der grünen Bluse und farblich abgestimmten Pumps strahlte sie wohltuende Frische aus.
„Hallöchen, Bernd. Ich wollte sehen, wie es bei dir läuft. Ist das nicht hammerhart mit Heise? Der Chef war völlig fertig, hätte nicht geglaubt, dass er so emotional reagiert. Mir gegenüber gibt er immer den Beinharten, niemals ein privates Wort, immer streng dienstlich. Aber ich heiße ja auch nicht Stigler und bin weder blond noch langbeinig.“
Gottlob nicht. Wagner bevorzugte die kurvige Variante und rote oder braune Haare. Sie seufzte. Bevor er sie darauf hinweisen konnte, dass nicht alle Männer auf blond standen, fuhr sie fort. „Eine heiße Nummer, die da während der Nikolausfeier gelaufen ist. Wirklich krass. Der Chef höchstpersönlich hat den Nikolaus gespielt und … ach lassen wir das.“
Sie lachte, um Sekunden später unversehens wieder ernst zu werden. „Der Ministerpräsident ist auch aus anderem Grund nicht gut drauf. Sein Ranking macht ihm zu schaffen, der Abstand zum Oppositionsführer schmilzt wie die Gletscher in der Antarktis. Er hat mit einem Konsul aus München Kontakt aufgenommen, der angeblich Wunder vollbringt, wenn es um die Wiederherstellung eines ramponierten Images geht.“
Wagner wusste davon, ein Termin war bereits ins Auge gefasst. Seine Kollegin kam erneut auf den Mord zu sprechen. „Was glaubst du, wer der Täter war?“
So war sie immer, sprang in Windeseile von einem Thema zum nächsten. Den Chef nervte das, er fand es erfrischend. Die Frage nach dem Täter hatte er ungefähr tausend Mal in den letzten vierundzwanzig Stunden gehört. Bei jedem anderen wäre ihm der Kragen geplatzt. Jetzt strahlte er die Frau auf seinem Schreibtisch an. „Keine Ahnung. Ein Bekennerschreiben gibt es bislang nicht und die Polizei scheint im Dunkeln zu tappen.“
Er versuchte den Ausschnitt ihrer Bluse zu ignorieren und sich ausschließlich auf ihre Worte zu konzentrieren. „Nach drei Tagen kann man keine Wunder erwarten. Ich habe von Frau Hauser einen positiven Eindruck. Sie war bei mir, wollte wissen, wie Heise so war. Sein Verhältnis zum Chef interessierte sie besonders. Scheint ’ne taffe Frau zu sein.“
Heises Verhältnis zum Chef? Eine merkwürdige Frage. Die Polizei würde doch nicht den Ministerpräsidenten verdächtigen? Ein absurder
Weitere Kostenlose Bücher