Die Staatskanzlei - Kriminalroman
Verena lenkte die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema und erwähnte die von Baumgart bezahlte Geburtstagsfete und die Bargeldeinzahlungen. Stollmann fühlte sich in seiner Theorie über Erpressung als Mordmotiv bestätigt. Nun war es an Hirschmann, zu widersprechen. „Was soll denn der Mord an Niemann? Dass ausgerechnet der sozial engagierte Vorzeigebeamte in Erpressungen verstrickt war, ist kaum vorstellbar. Nicht nach allem, was wir über ihn wissen.“
„Da ist was dran“, pflichtete Ritter ihm bei und legte die nächsten Schritte fest: Niemanns Familie und Nachbarn befragen, sein Haus nach verdächtigen Hinweisen durchsuchen, vor allem nach Drohbriefen. Laptop, Bürocomputer und Handy mussten überprüft und Niemanns Kollegen und Mitarbeiter vernommen werden. Das ganze Spiel ging von vorne los.
Verena rechnete damit, dass der Direktor etwas zur künftigen Leitung der Soko sagen würde. Er tat es nicht. Man räumte ihr eine Galgenfrist ein. Sie nahm sich vor, sie zu nutzen. Ein zweites Mal durfte sie nicht versagen. Die Vernehmungen im Roten Salon würde sie umgehend wieder aufnehmen. Kaffee und Kekse, serviert in dekorativem Porzellan mit Pferdemotiv, würde es nicht mehr geben. Es ärgerte sie, dass ihr angesichts Niemanns Ermordung ausgerechnet eine solche Lappalie durch den Kopf ging. Was war bloß mit ihr los?
Als sie auseinandergehen wollten, hielt der Direktor Verena zurück. „Bleiben Sie noch einen Moment, Frau Hauser.“
Stollmann grinste breit, bevor er hinter Hirschmann her trottete. Er hätte sich das süffisante Lächeln sparen können. Es ging um dienstliche Belange, konkret um den Korruptionsverdacht. Der Direktor wollte Einzelheiten über ihr Telefonat mit Frau Hollmeyer aus der Staatskanzlei erfahren. Sein Gesicht wurde im Verlauf ihres Berichts immer länger.
„Wir sollten das nicht weiter verfolgen“, entschied er, als sie fertig war. „Heise ist tot, es bringt nichts, in den alten Geschichten herumzuwühlen. Mit dem Mord hat das ohnehin nichts zu tun. Wegen ein paar Tausend Euro bringt kein Unternehmer einen Beamten um. Die geben ganz andere Beträge für Öffentlichkeitsarbeit aus.“
Verena war anderer Meinung. Dass Heise korrupt war, gehörte zum Opferprofil und war für die Beurteilung des Sachverhalts wichtig. Ritter widersprach. „Warum wollen Sie die Sache hochspielen? Das bringt uns dem Mörder nicht näher. Wenn es auch nur den Hauch eines Verdachts gäbe, dass die Geldzahlungen mit dem Mord zu tun haben, könnten Sie mich umstimmen. Aber den sehe ich nicht. Wir haben es mit zwei ermordeten Beamten zu tun.“
„Was ist, wenn es auf Niemanns Konten ähnliche Auffälligkeiten gibt?“, wollte Verena wissen.
„Wenn, wenn, ich höre immer wenn. Ich will Fakten, keine Vermutungen.“ Ritters Augen blitzten. Er klopfte ungeduldig mit seinem Kugelschreiber auf die Tischplatte. „Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Konzentrieren Sie sich darauf, den Mörder zu finden, und lassen Sie Nebensächlichkeiten beiseite, Frau Hauser.“
Der Blick aus seinen stahlblauen Augen war alles andere als wohlwollend. Verena spürte, wie die Enttäuschung ihr die Kehle zuschnürte. War ihr gut aussehender Held etwa obrigkeitshörig? Sie nickte. Ihr fehlte die Kraft, sich weiter zu streiten. Das Lächeln, das er ihr zum Abschied schenkte, entschädigte sie. Zumindest für den Augenblick. Er kann nicht anders, er steht unter enormem Druck, entschuldigte sie ihn, während sie in ihr Büro ging. Unterwegs liefen ihr zwei missmutig ausschauende Beamte über den Weg. Auch sie waren sauer, dass alles wieder von vorne losging.
36
Das Wochenende hatte Wagner Auftrieb gegeben. Eine Last war von seinen Schultern genommen. Der Stress wegen des Mordes gehörte der Vergangenheit an, die latente Angst auch. Die Täterin war gefasst.
Jetzt, am Montagmorgen, freute er sich auf die vor ihm liegende Arbeitswoche. Er ging in Gedanken die anstehenden Termine durch. Als Erstes ein Frühstück im Gästehaus mit Repräsentanten des Mittelstands. Abends ein Meeting des Ministerpräsidenten mit dem niederländischen Regierungschef. Am Dienstag würde eine Delegation der Woiwodschaft Niederschlesien der Landesregierung einen Besuch abstatten. Niedersachsen und Niederschlesien unterhielten eine Partnerschaft, die gegenseitige Besuche umfasste. Wagner freute sich auf seinen Kollegen aus Breslau. Der Mann sprach exzellent deutsch und war ein humorvoller, überaus angenehmer Gesprächspartner. Und trinkfest war er
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