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Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Titel: Die Stachelbeerstraeucher von Saigon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Zimmerschied
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zitrustöniger, molliger, aber nicht barriquiger Weißburgunder.
    Burgschauspieler, Edelcasterinnen, Feuilletonisten, Programmdirektoren und Historienmehrteilerautoren können natürlich auch einen barriquenivellierten, Weltläufigkeit suggerierenden Überseechardonnay dazu trinken und für dieses Rezept selbstverständlich auch Nachtigallenzungen verwenden, wobei darauf hinzuweisen ist, dass sich dafür die piemontesischen besser eignen als die kalabrischen.
    Zugegeben, das ist nicht jedermanns Geschmack.
    Wie eine Arbeitskollegin meiner Frau anmerkte: Pfui Teufel, Zunge! Ich ess doch nicht etwas, was andere schon im Mund gehabt haben! Da ess ich lieber ein Ei.

Achtzig Cent und zwei Flaschen
    Eine Stellenausschreibung
    Wer kennt sie nicht, diese trüben, ausdruckslosen Gesichter, diese stieren, unsinnlichen Augen, die stundenlang gegen die Decke starren und verharren, als wäre das ganze Leben ein einziges Warten auf den Tod.
    Wer vermag die Schicksale nachzuvollziehen, die diese Menschen zu dem gemacht haben, was sie jetzt sind?
    Wer will Richter spielen über sie?
    Nicht jeder Mensch hat das Glück, jemandem zu begegnen, der seine Begabungen früh erkennt und fördert.
    Nicht jeder hat die Chance, eine ihm gemäße Ausbildung zu erfahren und einen sinnvollen Beruf erlernen zu können.
    Und dennoch gibt es in unserer Gesellschaft Positionen und Funktionen, die gerade diejenigen am besten ausfüllen können, die nicht eingeengt und geprägt sind durch Begabung, Kompetenz, Charisma und Ausbildung.
    Denken wir an all die vielen Söhne und Töchter starker Eltern, deren Väter nicht ihre Väter sind, sondern ihre Vorgesetzten, und deren Mütter nicht ihre Mütter sind, sondern ihre Bankverbindung.
    Die Firmengründer waren, einem Adelsgeschlecht vorstehen oder einfach nur geerbt haben.
    Diese ungenutzten Depots an Nachkommenschaften, die in Gefahr sind, erdrückt, zermürbt und zermahlen zu werden zwischen den Erwartungen ihrer hochbegabten Erzeuger und der grausen Wirklichkeit der alltäglichen Banalität.
    Ihnen gilt diese Stellenausschreibung.
    Eine Chance dem Ungelernten!
    Für die Freiheit von Kompetenz!
    Diesen Maximen verpflichtet, schreibt das Arbeitsamt München-Grünwald eine Stelle aus.
    Um das diskriminierende Wort » Fähigkeiten « zu vermeiden, geben wir an, dass der Bewerber jedoch bestimmte massenkompatible Eigenschaften haben sollte, die ihn, nur um das angsterzeugende Wort » Ausfüllung « zu vermeiden, zur Platzhaltung der Position befähigen.
    Ihm sollte ein Nachdenklichkeit simulierendes und Vertrauen erweckendes, sanftes Kopfnicken zu eigen sein, welches durchaus nicht von Kenntnis oder gar Inspiration getrieben sein muss, sondern vielmehr auch nur mechanischen oder pathologischen Ursprungs sein kann, wie überhaupt die Erscheinungsoberfläche alles und der Inhalt nichts ist bei diesem Berufsbild.
    Ganz im Gegenteil. Inhaltlichkeit ist kontraproduktiv.
    Die Inhaltlichkeit sollte sich auf das Maß beschränken, das den Bewerber mit der Masse derer, die er zu vertreten hat, gleichstellt, und das ist das Heer der Mittelmäßigen, die über die Witze in der Bild-Zeitung lachen und die weinen, wenn ihr Hund einen künstlichen Darmausgang braucht.
    Er sollte jene an Waschzwang grenzende Ordnungssehnsucht haben, welche die große Mehrheit der Bevölkerung mit Führungsqualität verwechselt und ihn darob für jemanden hält, der wisse, was er wolle, der mittel- und langfristig planen könne, der nicht lange fackle, der schon früh am Morgen die Welt ordnet und sagt: Ich stehe auf!
    Der zielführend bleibt, sich die Zähne putzt, sich ankleidet und dennoch den Überblick behält, nicht überfordert ist von der Fülle dieser Einzelerscheinungen, sondern noch ein Gespür hat für andere, eine einfühlsame Menschenführung, die ihn nebenbei mit simulierter Weltläufigkeit noch zu seiner Frau sagen lässt:
    Iatzt sog i dirs noch einmal, und wie oft soll ichs dir noch sagen!
    Sechs Minuten und nicht sieben!
    Vroni, das ist doch kein Frühstücksei.
    Das Eiweiß muss fest sein und glänzend und das Eigelb cremig.
    Ein gutes Frühstücksei, Vroni, das ist wie der Kopf eines Fernsehredakteurs.
    Glänzende Hülle, wachsweicher Inhalt.
    Dabei sollte sein Lachen etwas in Eigenironie getunkt sein, so wie das Buttercroissant in den lauen Milchkaffee.
    Ja, er sollte lachen können über Männer, die sich als Frauen verkleiden, über Betrunkene, die vom Barhocker fallen, und Frauen, die Silben verwechseln.
    Eine Aura

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