Die Stadt am Ende der Zeit
Fetzen …
… und stand auf, während sich in seinem Kopf alles drehte.
Einen Moment lang fragte er sich, ob er blind wurde oder sogar schon gestorben war, denn alles in der Umgebung des umgekippten Vans wirkte verzerrt und wie aufgelöst. Doch nach und nach fügte es sich wieder zusammen, so als hätte man ein Puzzle in eine Vergangenheit zurückkatapultiert, in der die einzelnen Teile wieder ein Ganzes bildeten.
Als er zum Himmel blickte, sah er, dass die Blitze sich um sich selbst drehten und, wie Schlangen spuckend und zischend, sich in Spiralen zu einem rotierenden Trichter hinaufwanden. Im Zentrum des Trichters entdeckte er eine gekrümmte, stämmige Gestalt, die fast nur aus dem Mittelteil des Körpers zu bestehen schien und winzige Arme und Beine hatte, mit denen
sie herumfuchtelte. Sie schwebte dort in freiem Fall, schrumpfte zusammen, schlug um sich, wurde dabei aber erneut von Blitzen getroffen und noch höher getragen. Und die ganze Zeit über schrie sie mit schriller Kleinmädchenstimme so laut, dass sie sogar den Donner übertönte.
Hochspannungsleitungen, die sich halb von den Strommasten gelöst hatten, wurden von den Ausläufern des Wirbels gepackt, kräuselten sich, knickten und spannten sich wieder wie straffe Drähte. Schließlich rissen sie ganz ab, schossen nach oben, erschlafften – und fielen wie abgetrennte Schnüre zu Boden.
Während der Trichter sich schloss, ergoss sich eine solche Wasserflut über Jack, als wäre ein riesiger Eimer umgekippt worden. Die Flut drückte ihn nieder und seinen Kopf so dicht an den Asphalt, dass er zu ertrinken fürchtete.
Doch all das hörte plötzlich auf, und ringsum wurde es unnatürlich still.
Jede Bewegung war eine qualvolle Anstrengung. Er blinzelte mehrmals, damit sich die schlammigen Regentropfen aus seinen Augen lösten. Der Wolkenbruch, die Blitze, das bizarre Spiel der Naturgewalten – vorbei. Nur das leise Zischen aufsteigenden Dampfes durchbrach die tiefe Stille. Und ein schwaches, unheilverkündendes Knistern, das so klang, als zerknautsche jemand Zellophan.
Der Van war in einer Wohngegend verunglückt, die aufgeräumt und spießig wirkte. Die alten Häuser in Hanglage, gekrönt von einem Wasserturm, hatten sich mit einer schwarzen Schicht überzogen, aber sie waren nicht verbrannt und eingerußt. Vielmehr hatte sich ihre Substanz in eine glasartige dunkle Masse verwandelt, die wie Obsidian schimmerte. Der
Wasserturm spritzte aus allen Rohren. Und die Straße war mit kniehohen, schwarz glänzenden Stacheln übersät.
Während Jack auf dem Bürgersteig stand, schossen weitere Stacheln aus dem Boden, schoben ihn gewaltsam beiseite, schleuderten den Van herum und durchbohrten zwei seiner Reifen. Die Luft, aus der jede Farbe gewichen war, funkelte auf bizarre Weise. Genau wie Jack roch sie versengt – verzehrt von einem zeitlosen kalten Feuer.
Aus dem Van drang Glaucous’ raues, kehliges Gebrüll, das er nur unterbrach, um nach Luft zu schnappen. Schließlich verwandelte sich das Gebrüll in ein grässliches unentwegtes Kreischen. Danach – Stille.
Alles, was Jack sah, verletzte seine Augen und seinen Verstand. Seine Halsmuskeln zuckten, konnten sich nicht einigen, in welche Richtung sie sich drehen (oder besser nicht drehen) sollten. Er schlug einen Arm vor die Augen. Doch wider besseres Wissen sah er erneut hin. Inzwischen waren die farblosen Felder in der Luft so ausgefüllt wie in einem Malbuch, aber der Brandgeruch hatte sich nicht verzogen. Der Wasserturm spie gurgelnd die letzten tausend Liter aus. Die Stacheln waren mit dem Straßenpflaster verschmolzen. Regenwasser strömte in Kaskaden aus den überlaufenden Gossen. Doch die Häuser waren zu einer Imitation von Normalität zurückgekehrt.
Während er die schmerzende Schulter lockerte, machte er sich schwankend auf den Weg zum Van, wobei er vorsichtig auftrat, weil er sich einen Fußknöchel verstaucht hatte. Er kniete sich vor die zertrümmerte Windschutzscheibe, an deren ausgezacktem Glasrand die letzte von Penelopes Wespen ruckartig entlangkrabbelte. Zwar war sie durchnässt und konnte nicht mehr fliegen, summte aber noch.
Alles ringsum warf flackernde Schatten – Kopien, die sich vom Original lösten, um gleich darauf wieder mit ihm zu verschmelzen. Er blickte auf seine Hände: die gleichen zuckenden Schatten. Soeben war etwas Gewaltiges passiert. Die Zeit vibrierte wie eine schwingende Gitarrensaite.
Jack spähte in den Van: Der Fahrersitz war leer, genau wie der
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