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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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übergeben, jedenfalls hatte ich es vor – bis sie plötzlich ihre Abenteuerlust entdeckte. Eine Weile war ich ihr böse und spielte mit dem Gedanken, das Geheimnis der verschlossenen Kiste in den Tod mitzunehmen.
Auf diese Weise wollte ich mich an einer Welt rächen, die keine wunderbaren, einsichtigen Schwestern mehr hervorbringt. Aber ich habe meine Anweisungen.«
    Anweisungen der Hochgewachsenen? Jebrassy biss sich auf die Zunge, platzte aber mit einer anderen Bemerkung heraus. »Du leitest die Märsche, sorgst für die Ausrüstung, schickst die Teilnehmer …« Er verfing sich im eigenen Gedankengestrüpp.
    »Stimmt. Man hat mich benutzt. Aber ich habe stets gehofft – oder mir zu meiner Verteidigung selbst eingeredet –, eines Tages würden wenigstens Einzelne zurückkehren und mir erzählen, was jenseits der Grenze des Realen liegt. Doch niemand ist zurückgekehrt. Wie viele habe ich zum Tode verurteilt? « Sie wischte eine Träne weg. Gleich darauf richtete sie sich zu voller Größe auf und nahm wieder die Haltung einer Sama an. »Ich verrate euch jetzt unser Geheimnis. Das, was die Schwesternschaft herausgefunden hat. Lassidin und ich haben in dem Silbenverzeichnis auch die am meisten versprechenden Ebenen und Stockwerke aufgelistet. In allen Stockwerken, die noch bewohnt sind, geben die Regale mit den unechten Büchern nichts her. Nur in den leeren, nicht mehr genutzten Stockwerken lässt sich hin und wieder ein Buch aus seiner Reihe lösen. Nach diesen Bücherregalen müsst ihr Ausschau halten. Zuweilen verändern sie sich. Wenn ihr begreift, wie und warum, werdet ihr erfahren, was auch wir erfahren durften. Es bleibt uns nur noch wenig Zeit, meine jungen Gefährten. Ich glaube, bald wird mir der Düstere Aufseher einen Besuch abstatten. Aber ehe das geschieht, muss ich noch diesen letzten Marsch vorbereiten.«
    Jebrassy senkte den Blick. Er war innerlich erregt, verwirrt – und bekam Angst.
    »Eure erste Aufgabe besteht darin, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Das ist zwar überaus wenig, aber vielleicht kann es euch vor dem Tod bewahren. Später wird man euch in die Hochwasserkanäle bringen, damit ihr dort euer Training aufnehmt.«

30
    Alles Wasser der Ebenen floss durch diesen Verbindungskanal, der im niedrig wabernden Nebel irgendwo hinter Jebrassys Standort verschwand, am Rand der äußeren Auen. Während das Wasser die Schleuse hinuntersickerte, gluckerte es träge vor sich hin. Es war sauber, roch nach Feuchtigkeit und ein wenig auch nach Melancholie. Mit Armen und Fingern maß Jebrassy den Abstand zwischen dem obersten Rand der Schleuse und dem Boden in ihrer Umgebung, der aus derselben körnigen, mit Kieseln übersäten graubraunen Erde bestand, wie sie überall in den Ebenen zu finden war. Immer noch versuchte er, alles gleichzeitig zu erfassen – und davon bekam er Kopfweh.
    Weiter hinten, näher an der Brücke, war der Wasserstand höher gewesen. Vielleicht führte der Verbindungskanal gar nicht bis zur hinteren Mauer, sondern versickerte irgendwo im Boden, wurde von der Erde wie von einem Aufwischlappen absorbiert. Irgendwie schaffte es dieser harte, körnige Boden, das Wasser aufzusaugen, es zu verteilen und zugleich zu klären.
    Das Unbekannte, das das Wasser anzieht, zieht auch mich an. Saugt der Boden das Wasser in sich hinein und spuckt es dann
wieder aus, genau wie mich? Ich weiß überhaupt nichts über den Ort, an dem ich lebe.
    Verwirrt und frustriert hätte er am liebsten zu einem Schlag ausgeholt, stets sein erster Impuls, wenn er sich der eigenen abgrundtiefen Unwissenheit stellen musste.
    Als er Schritte hörte, richtete er sich auf und drehte sich um. Anfangs konnte er wegen einer Bodenerhebung auf der Wiese nicht erkennen, wer da kam, doch dann erkannte er Khrens runden, von einem pelzigen Haarschopf gekrönten Schädel. Er hatte drei Jugendliche dabei, die voll freudiger Erwartung die Augen weit aufgerissen hatten.
    Tiadba hatte gesagt, er müsse vier Helfer finden. Sie werde sich mit ihnen an der inneren Wendeltreppe treffen, die mitten durch die Ebenen der ersten Insel führte. Sie hatten vor, ein stillgelegtes Stockwerk ziemlich weit oben zu durchsuchen. Vielleicht würden sie den ganzen Tag dazu brauchen, nur einige der Gänge zu durchforsten, die vom Treppenhaus strahlenförmig abzweigten – ein sehr kleiner Teil der leer stehenden Stockwerke. Bei dem schwachen Licht würden zusätzliche Hände und wache junge Augen bestimmt nützlich sein. Dennoch

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