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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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Hölle
    Die Halle hatte Ausmaße, die jede Vorstellungskraft über stiegen. Aus schwarzem Fels geschlagen, schien sich ihre Kuppel bis in den dunklen Himmel zu erstrecken.
    Gigantische Säulen, jede so stark, dass einhundert ausgewachsene Männer sich an den Händen fassen mussten, um sie zu umschließen, stützten das Gebilde.
    Der Boden dieses monströsen Bauwerks bestand aus Schieferplatten, in die dämonische Symbole geritzt worden waren. Flackernde Fackeln warfen zuckendes Licht, als Baalaeth, der Anführer von Satans Legionen, darüber hinwegschritt. Er hätte nicht gehen müssen, denn seine magischen Fähigkeiten verlangten es nicht. Er konnte erscheinen, wann und wo es ihm beliebte, aber er nutzte die Zeitspanne, die es dauerte, den Palast zu durchqueren, um seine Gedanken zu ordnen und das Ungeheuerliche zu verarbeiten. Ein dumpfes Echo warf das Geräusch seiner Schritte zurück. Es klang wie eine wehmütige Melodie, wie ein letztes Lied.
    Sein Blick fiel auf die menschlichen Schädel, die bleich die Säulen verzierten und mit ihren Knochen weitere Runen schufen. Aus leeren Augenhöhlen starrten sie ihn an. Die fleischlosen Gebisse gebleckt, als wollten sie ihn verhöhnen, ihm zuraunen, dass er versagt hatte.
    Er wird dich töten. Seine Krallen werden deinen Leib und deine Seele zerfetzen. Satan verzeiht nicht. Satan toleriert kein Versagen. Satan herrscht und du dienst ihm. Wenn du ihm nicht dienst, stirbst du.
    All das wusste er, dennoch empfand er keine Angst. Er und seine Armee hatten tapfer gekämpft. Unzählige waren in den Schlachten gefallen, aber es war ihnen nicht gelungen, die dunklen Horden zurückzudrängen. Der unterste Kreis der Hölle war endgültig verloren. Dämonen herrschten nun darüber. Ihr Gegenangriff war erfolglos geblieben. Inzwischen sammelten sich die Horden am Tor zum nächsten Kreis, bereit, eine weitere Ebene zu erobern.
    Als er Satans Thron erreicht hatte, sank er ehrfürchtig auf die Knie. »Herr, ich bin gekommen, um zu berichten.«
    Satan hatte die Gestalt eines zehn Jahre alten Jungen angenommen. Er saß auf einem einfachen Holzstuhl. Seine nackten Beine, die in kurzen Hosen, Kniestrümpfen und Halbschuhen steckten, baumelten gelangweilt hin und her. An seinem rot karierten Hemd mit den kurzen Ärmeln fehlte ein Knopf und er war gerade dabei, mit kleinen, etwas dicklichen Fingern den nächsten abzudrehen.
    Hinter dem Herrscher standen seine Wachen. Dunkle Engel in schwarzen Rüstungen, deren polierte Brustharnische im Licht der Fackeln glänzten. Die Gesichter blieben hinter den Visieren ihrer Helme verborgen, während sie reglos, die Speere in den gepanzerten Fäusten haltend, auf die Befehle Satans warteten.
    So viele Namen trug er. Satan. Luzifer. Beelzebub. Mephistopholes. Beliar. Sie hatten ihn als Lichtbringer, Träger der Morgenröte, als den Herrn der Fliegen bezeichnet, doch gab es keinen Namen, keinen Begriff für ihn, der ihm gerecht geworden wäre. Einst war er der höchste der Engel gewesen, aber sein Stolz hatte ihn verleitet und sein Hass auf die Menschen ihn verdammt.
    Gott hatte ihn verstoßen und so herrschte er über ein Reich aus Feuer und Schmerzen. Gestern. Heute. Aber vielleicht nicht mehr bis in alle Ewigkeit. Seine Herrschaft war bedroht. Sein Reich dem Untergang geweiht. Wenn es fallen sollte, gab es kein Morgen mehr. Für niemanden.
    »Was gibt es denn zu berichten?«, fragte der Höllenfürst mit piepsiger Stimme.
    Baalaeth ließ sich weder von der Stimme noch von der kindlichen Gestalt täuschen. Satan verfügte über eine Macht, mit der sich nichts und niemand messen konnte. Ein Fingerschnippen und von ihm würde nicht einmal ein Häufchen Asche übrig bleiben.
    »Herr, der neunte Kreis ist verloren. Deine Legionen haben tapfer gekämpft, aber es gelang uns nicht, die Ebene zurückzuerobern. Schließlich wurden wir zurückgedrängt und mussten die Ebene verlassen. Sie gehört nun den Dämonen. Vollständig.«
    »Verluste?«
    Baalaeth nannte ihm die ungeheuerliche Zahl. Zum ersten Mal blitzte so etwas wie Interesse in Satans Augen auf.
    »So viele?«, fragte er nach.
    »Ja, Herr.«
    »Und nun?«
    »Die Horden drängen gegen den Zugang zum achten Kreis. Fünftausend Krieger sichern das Portal, sie bilden einen lebenden Runenschild und werden bis zum letzten Mann kämpfen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Ebene von den Dämonen überrannt wird.«
    Plötzlich flimmerte die Luft um Satan. Seine Konturen wurden unscharf, dann

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