Die Stadt der Heiligen (German Edition)
hast du mir sonst noch zu berichten?», grollte es verärgert hinter einem Regal in der Bibliothek des Marienstifts. Der junge Priester zog fast automatisch den Kopf ein. «Ein berittener Bote hat mehrere gesiegelte Briefe bei Markwardts Haus abgeholt. Frau Marysa hat sie ihm ausgehändigt.»
«Konntest du ihm folgen?»
«Nur bis über die Großkölnstraße, aber ich vermute, er ist von dort aus durch das Stadttor …»
«Du weißt also nicht, wohin er geritten ist, du blöder Ochse?» Die Stimme wurde noch unfreundlicher, ihr Besitzer tauchte hinter dem Regal auf und sah den Geistlichen verächtlich an.
Dieser hob beschämt die Schultern. «Nein, aber wenn er durch dieses Tor geritten ist, wird er wohl auf dem Weg nach Köln sein.»
«Also gut, dann wirst du ihm umgehend folgen.»
«Aber Herr …» Erschrocken starrte der Priester sein Gegenüber an. «Ich kann doch jetzt nicht … Ich meine, während der Heiltumsweisung …»
«Tu gefälligst, was ich dir sage! Ich will wissen, an wen diese Briefe gehen, hast du verstanden? Wenn du dich beeilst, kannst du ihn noch einholen. Aber sorge dafür, dass dich niemand erkennt.»
«Und meine Pflichten hier in der …»
«Verschwinde endlich! Deine Pflichten übernimmt jemand anderer.»
Der Priester nickte und zog sich eilig zurück. Er hatte gehofft, bei der morgigen ersten Heiltumsweisung dabei sein zu dürfen. Aber die Kirmes dauerte ja insgesamt zwei Wochen. Er würde höchstens zwei, drei Tage fort sein, und danach konnte er noch immer an der Zeremonie teilnehmen. Seit seiner Kindheit träumte er davon, doch nie war es ihm vergönnt gewesen, während der Kirmes in der Stadt zu weilen. In diesem Jahr wäre es anders. Und er wollte den vollkommenen Ablass, denn er war sich im Klaren, dass er ihn mehr denn je nötig hatte.
Eine knappe halbe Stunde später ritt der junge Geistliche als weltlicher Pilger verkleidet in raschem Galopp durch das Kölntor und nahm die Verfolgung auf.
22. Kapitel
W arum ist das Kleid nicht im Mi-parti gemustert?» Reinold nestelte seine im gelb-weißen Schachbrettmuster genähten Beinlinge an seine Bruch und zog dann die gleichfarbige Schecke über sein Wams.
Marysa zurrte die seitliche Schnürung an ihrem Überkleid fest. «Einhard meinte, dass ein einfarbiges Überkleid besser aussieht. Das Mi-parti hat mich nicht gekleidet.» Das tat das grelle Dottergelb zwar auch nicht, aber es war Marysa wesentlich lieber. Mit diesem Kleid würde sie sich nicht so sehr schämen müssen wie mit dem, das Reinold ihr ursprünglich zugedacht hatte. Es reichte ihr schon, ihn in seinem geckenhaften Aufzug neben sich zu wissen.
«Und wer hat dir erlaubt, einfach meine Anweisungen zu übergehen?» Reinolds Stimme klang ungehalten, er sah sie jedoch eher beleidigt als strafend an. «Undankbares Weib», brummte er.
Als er am Vortag wieder zurückgekehrt war, hatte sich seine Wut auf Marysa verflüchtigt. Sie spürte Erleichterung darüber, doch Reinold war, wie sie ja wusste, nie nachtragend gewesen, so überraschte es sie auch nicht weiter. Sein Entschluss, den Augustiner Theophilus sowie den Domherrn Scheiffart bei den Schöffen anzuzeigen, war jedoch so fest wie zuvor und wurde nur von seinem Vorhaben übertroffen, die Briefe an seine zukünftigen Geschäftspartner so schnell wie möglich abzuschicken. Marysa hatte sie vor seinen Augen siegeln und einem eilig herbeigeholten Boten übergeben müssen.
«Ihr wollt doch sicher nicht, dass ich ein Kleid trage, das mich nicht kleidet, Meister Reinold.» Marysa bemühte sich um ein gewinnendes Lächeln. Nach dem gestrigen Tag hatte sie beschlossen, es mit mehr Diplomatie zu versuchen, wenn sich auch ihr Magen noch immer rebellisch gebärdete. Sie hasste Streit. «Bedenkt, wie viele Menschen heute im Dom sein werden.»
«Hmpf.» Missmutig musterte Reinold sie. «Ändern lässt sich ja nun nichts mehr», knurrte er. «Aber das Mi-parti wirkte viel fröhlicher.»
Marysa sagte nichts. Es war müßig, sich mit ihm über Kleiderfragen und guten Geschmack zu unterhalten.
«Dann bedecke deine Haare wenigstens mit dieser geblümten Haube, die ich dir kürzlich geschenkt habe.»
«Natürlich, Meister Reinold.» Marysa biss sich fest auf die Unterlippe, um nicht doch noch aufzubegehren. Sie hatte gehofft, eine schlichte weiße Leinenhaube tragen zu dürfen. Das Blumenmuster auf jener Rise und dem dazugehörenden Schapel wurde an Hässlichkeit nur von dem mit Efeuranken bestickten Schleier übertroffen. Und das
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