Die Stadt der Heiligen (German Edition)
habe, wenn er für ihn arbeiten und mit einer Falschaussage vor den Schöffen den Verdacht auf Johann Scheiffart lenken würde.»
Christophorus fuhr verblüfft zu dem Kanoniker herum, und auch unter den anwesenden Schöffen kam verwundertes Gemurmel auf. Man leugnete die Existenz dieses Augustiners also nicht mehr?
Van Kettenyss lächelte schmal. «Bruder Theophilus ist ein Augustiner, der aus fernen Landen hierhergepilgert ist. Er weilt wegen der Heiltumsweisung hier und kam vor drei Tagen zu mir, um mir von Markwardts ungeheuerlichem Angebot zu berichten. Und er zeigte mir dies hier.» Er holte unter seinem Mantel zwei kleine, an Lederschnüren befestigte Reliquiare aus Reinolds Werkstatt hervor. Eines davon klappte er auf und ließ den Inhalt in seine Handfläche fallen.
«Gefälschte Heiligenknöchelchen», informierte er die Anwesenden, obwohl sich dies wohl alle bereits denken konnten. «Meister Markwardt hat sie Theophilus gegeben und außerdem», er zog einen schwarzen Beutel hervor, «auch noch dies hier. Es handelt sich um weitere fünfzehn Splitter von Fingerknochen.»
Van Eupen sah ihn missbilligend an. «Warum kommt Ihr damit erst jetzt?»
Der Kanoniker hob nur kurz die Schultern. «Es war zunächst einmal eine Angelegenheit des Marienstifts.»
«Es ist eine Sache der Schöffen, das wisst Ihr genau! Die Familie Markwardt gehört nicht zur Domimmunität und wohnt auch nicht dort!», regte sich nun auch van Haren auf. «Es ist doch immer dasselbe mit Euch. Es steht Euch nicht zu, die Zuständigkeit ungefragt an Euch zu reißen!»
Christophorus räusperte sich vernehmlich. «Ihr hättet mir davon berichten müssen, Herr van Kettenyss. Wo ist dieser Theophilus jetzt?»
Der Domherr hob erneut die Schultern. «Er ist Gast in meinem Haus. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch gerne mit ihm unterhalten.»
«Das werde ich tun.» Christophorus nickte ihm finster zu.
«Auch wir sollten diesen Augustiner befragen», entschied van Haren. «Ich schlage vor, dass wir dies hier zu einem späteren Zeitpunkt fortsetzen.» Er wandte sich noch einmal an Marysa. «Euch rate ich, Euch genau an alles zu erinnern, was mit dieser Sache zu tun haben könnte. Sollte sich herausstellen, dass Ihr gelogen habt, wird Euch das nicht gut bekommen, Frau Marysa. Euer Vater war immer ein aufrichtiger und rechtschaffener Mann. Er würde es ganz sicher nicht gutheißen, wenn Ihr jemanden deckt, und sei es Euer verstorbener Gemahl.» Er winkte dem Büttel, Marysa hinauszubringen.
34. Kapitel
M arysa saß auf der Strohmatratze, den Rücken gegen die kalte Zellenwand gelehnt, die Arme fest um ihre angezogenen Knie geschlungen, und starrte zu dem kleinen vergitterten Fensterchen hinauf. Es handelte sich um dieselbe Zelle, in der auch Reinold eingesperrt gewesen war. Seit der Befragung waren viele Stunden vergangen. Lediglich der Wachtmann war vor einiger Zeit gekommen und hatte ihr frisches Wasser gebracht. Ansonsten war alles still. Natürlich drang von draußen das Stimmengewirr der Pilger und Kirmesbesucher vom Kaxhof herauf, doch Marysa nahm es gar nicht wahr.
Nach wie vor fühlte sie sich wie betäubt. Mit seinem irrsinnigen Plan, Scheiffarts Reliquienhandel an sich zu reißen, hatte ihr Mann nicht nur sein eigenes Leben riskiert und verloren. Nein, er hatte auch sie in eine böse Situation gebracht. Wie sollte sie jemals beweisen, dass Reinold, und damit auch sie selbst, unschuldig war? Sie hatte ja geahnt, dass Theophilus ein falsches Spiel spielte.
Und was Bruder Christophorus da vorhatte, war glatter Wahnsinn. Er hatte sie zu einer Falschaussage bewogen, eine Tatsache, die nicht nur gefährlich, sondern ihr auch vollkommen unverständlich war. War er als Inquisitor nicht der absoluten Wahrheit verpflichtet? Der Zorn, der in ihr aufstieg, war das Erste und Einzige, was sie seit Tagen verspürte. Wie wollte er ihr denn helfen, wenn er sie vor den Schöffen lügen ließ? Abgesehen davon, dass sie, sollten die Schöffen zu der Überzeugung gelangen, Theophilus sei ein glaubwürdiger Zeuge, bald wieder befragt werden würde. Und vielleicht würden sie dann den zweiten Grad anwenden. Sie hatte schon oft von der peinlichen Befragung gehört. Ihr Vater hatte ihr davon erzählt, und natürlich gab es immer wieder Gerüchte, wenn in der Stadt ein Gerichtsprozess geführt wurde.
Je länger sie daran dachte, desto mehr wurde ihr Zorn von Angst verdrängt. Sollte sie auch nur in die Nähe eines Folterwerkzeugs gelangen, würde sie gestehen,
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