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Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Titel: Die Stadt der Heiligen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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so, dass ich vor einigen Tagen einen Totengräber vom Marienstift in einer Taverne traf.»
    «Ihr sprecht mit jemandem von den unehrlichen Leuten?», fiel Christophorus ihm ins Wort, doch Amalrich bedachte ihn nur mit einem kurzen Seitenblick. «Dem Allmächtigen ist es gleich, welchen Beruf jemand ausübt. Warum sollte es mir dann etwas ausmachen? Jener Totengräber», fuhr er fort, «war gerade auf dem Rückweg von einer ziemlich überstürzten und heimlichen Beerdigung. Nach einigen Bechern Bier vertraute er mir an, er habe den Mönch, der den Pilgern Reliquien verkauft habe, auf dem Friedhof der Augustiner begraben müssen.»
    «Theophilus ist tot?»
    «Es heißt offiziell, der Tote sei ein namenloser Pilger, der einem bedauerlichen Unfall zum Opfer gefallen sei», bestätigte Amalrich. «Doch der Totengräber hat ihn erkannt, weil er diese Narbe an seinem Hals gesehen hat. Die ist ihm nämlich schon aufgefallen, als er selbst ein Heiligenknöchelchen bei ihm gekauft hat.»
    Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, dann stand der alte Pilger umständlich auf. «Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend, Bruder Christophorus», sagte er. Langsam zog er von dannen, und nur das regelmäßige Klacken seines Pilgerstabs war noch eine Weile zu hören.
    Christophorus blickte wieder zu den Fenstern der Acht hinauf. Also hatte er sich nicht getäuscht. Jemand spielte ein falsches Spiel. Und er war sich nicht mehr so sicher, ob es sich dabei wirklich um Scheiffart handelte. Denn der versah seit Beginn der Kirmes den Wächterdienst in der Heiltumskammer oben im Dom.
    Erst als die Kirchenglocken zur Komplet läuteten, ging Christophorus langsam zurück in die St. Jakobstraße.

35. Kapitel
    V om Ruf der Heiltumsglocken wachte Marysa auf. Das laute Summen Tausender Stimmen mischte sich mit dem dröhnenden Geläut. Dann wurde es ruhiger, fast still. Und nur Minuten später dröhnten Tausende und Abertausende Pilgerhörner zur Begrüßung der heiligen Reliquien.
    Marysa hatte fast das Gefühl, die Mauern der Acht würden von dem Schall der Achhörner erzittern. Unwillkürlich machte sich eine Gänsehaut auf ihren Armen breit.
    Während die Hörner für eine kurze Weile aussetzten, stand sie auf und streckte ihre verspannten Muskeln. Glücklicherweise hatte der Büttel ihr hier drinnen die Handfesseln abgenommen. Unbehaglich lauschte sie, ob sich jemand ihrer Zelle näherte, dann erleichterte sie sich rasch auf dem unappetitlichen Eimer.
    Neben der Tür stand der Korb, den ihre Mutter vor drei Tagen gebracht hatte. Inzwischen enthielt er nur noch eine Handvoll getrockneter Kirschen und einen Rest schal gewordenen Wein.
    Die Kirschen aß sie hungrig und spülte mit dem Wasser nach, das der Wächter ihr am Abend zuvor gebracht hatte. Wie gerne hätte sie sich gewaschen! Vorsichtig tastete sie nach ihrer Haube, doch der Schleier hatte sich gelöst und lag auf der Matratze, und die Rise war so stark verrutscht, dass sie sie kurzerhand vom Kopf zog und in den Korb warf. Man würde ihre Mutter doch bestimmt noch einmal zu ihr lassen. Dann musste sie ihr eine frische Haube mitbringen.
    Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, löste sie ihre bereits leicht verfilzten Zöpfe und kämmte ihre Locken mit den Fingern, so gut es eben ging. Dann öffnete sie die Verschnürung ihres Kleides ein kleines Stück, benetzte einen Zipfel ihres Ärmels mit dem Wasser aus dem Trinkkrug und rieb sich notdürftig über Gesicht und Hals. Leider kam sie auf diese Weise nur bis knapp zu den Schultern, doch wollte sie sich keinesfalls weiter entkleiden.
    Während sie die Schnürung wieder festzurrte, wurden draußen auf dem Gang Stimmen laut, und noch ehe sie nach ihrem Schleier greifen konnte, wurde der Riegel zur Seite geschoben und die Tür aufgestoßen.
    «Ruft mich, wenn Ihr wieder rauswollt», brummelte der Wächter, ohne in die Zelle zu schauen.
    Bruder Christophorus betrat die Zelle; hinter ihm wurde die Tür geräuschvoll zugeknallt.
    Marysa starrte ihn einen Moment lang überrascht an. «Was wollt Ihr hier?»
    Christophorus war für einen Augenblick sprachlos. Alle klugen Worte, die er sich zurechtgelegt hatte, waren bei Marysas Anblick mit einem Mal vergessen. Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Ganz sicher jedoch nicht, dass sie mit nur halbverschnürtem Kleid und offenem Haar vor ihm stehen würde. Ihre kastanienbraunen Locken wallten über ihre Schultern und ihren Rücken bis fast zu ihrer Taille. Was seinen Blick jedoch

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