Die Stadt der Heiligen (German Edition)
wie magisch anzog, war ein leuchtend rotes Mal in Form eines spitzen Dreiecks, welches sich von ihrem Halsansatz schräg bis hinunter zum linken Schlüsselbein zog. Ein Feuermal.
Als sie merkte, wohin sein Blick gewandert war, zog sie rasch die Verschnürung ihres Kleides zu und wandte sich ab, um nach dem Schleier zu greifen. Mit wenigen Handgriffen hatte sie ihr Haar geflochten, hochgesteckt und unter dem Tuch verborgen.
Sie konnte sich nicht erklären, warum sie der Blick des Dominikaners so erschreckt hatte. Für einen Moment hatte sie das Gefühl gehabt, er habe ihren Anblick geradezu in sich aufgesogen. Doch das war Unsinn. Er hatte ganz einfach das Feuermal entdeckt. Ihre Mutter trug das gleiche, ihre Großmutter ebenfalls. Es war schon seit Generationen in ihrer ungarischen Verwandtschaft von Mutter zu Tochter vererbt worden. Viele Leute hielten Feuermale für das Zeichen Satans. Vielleicht glaubte Bruder Christophorus nun, sie sei eine Hexe.
«Was wollt Ihr hier?», wiederholte sie ihre Frage.
«Ich muss mit Euch sprechen.» Christophorus riss sich zusammen. Dabei half ihm ihr wie immer abweisender Ton, aber auch, dass sie sich so rasch abgewendet hatte. «Ihr habt ein Problem.»
Marysas Miene verfinsterte sich. «Das habe ich in der Tat. Was habt Ihr Euch dabei gedacht, mich vor den Schöffen als dümmlich und unwissend hinzustellen?»
«Es war der beste Weg, Euch aus der Schusslinie zu befördern», entgegnete er.
Sie stieß empört die Luft aus. «Ihr bringt mich damit in Teufels Küche, Bruder Christophorus. Wie lange, glaubt Ihr, dauert es, bis sie meinen Schwiegervater oder sonst jemanden fragen und erfahren, dass Reinold mich sehr wohl in seine Pläne eingeweiht hat? Herrgott, ich habe die Briefe selbst geschrieben!» Sie musste sehr an sich halten, um ihre Stimme nicht zu laut werden zu lassen.
Christophorus schüttelte den Kopf. «Derzeit werden sie weder Euren Schwiegervater noch sonst jemanden aus Eurer Verwandtschaft befragen. Dazu haben sie viel zu viel mit Theophilus’ Aussage zu tun. Verdammt nochmal, ich habe uns damit Zeit verschafft. Ist Euch das nicht klar?»
«Habt Ihr keine Angst, man könnte Euch der Mittäterschaft bezichtigen, wenn herauskommt, dass Ihr mich zur Lüge überredet habt? Ihr, der allervortrefflichste Inquisitor von Gottes Gnaden?» Marysas Stimme troff vor Sarkasmus. Sie konnte vor Wut kaum mehr an sich halten. All die aufgestaute Angst und Sorge wollten sich Bahn brechen. Und da war ein Zornausbruch sicherlich besser als der Weinkrampf, vor dem sie sich fürchtete, der sich jedoch bereits überdeutlich ankündigte. Giftig starrte sie ihn an.
Christophorus sah ihr deutlich an, dass sie mit den Nerven am Ende war. Dennoch bemühte er sich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Zu viel Mitleid würde Marysa jetzt nicht helfen.
«Niemand wird es herausfinden», antwortete er deshalb ruhig. «Und falls doch, wird man es auf Eure Verwirrung und Trauer nach dem Tod Eures Gemahls schieben. Wir werden es darauf schieben», ergänzte er. «Aber zunächst einmal bleiben wir dabei, denn es verschafft Euch ein gewisses Maß an Sicherheit. Euer Problem ist ein anderes. Theophilus hat seine Aussage bestätigt.»
Marysa ließ sich auf die Matratze sinken und fasste sich an die Stirn. «Er hat Reinold hereingelegt. Ich wusste es von Anfang an.»
Christophorus zögerte, doch dann setzte er sich in einigem Abstand neben sie. «Es gibt vielleicht noch Hoffnung. Theophilus ist tot.»
«Wie bitte?» Irritiert hob Marysa den Kopf. «Aber eben habt Ihr doch noch gesagt …»
«Der echte Theophilus ist tot», erklärte Christophorus. «Der Mann, der sich für ihn ausgibt, ist ein Betrüger.»
«Woher wisst Ihr das?»
«Erinnert Ihr Euch: klein, jedoch drahtig und kräftig, braunes Haar mit sauberer Tonsur und eine kleine hakenförmige Narbe am Hals?» Christophorus schwieg einen Moment. «Auf den Mann, der sich als Theophilus ausgibt, passt diese Beschreibung nicht. Insbesondere die Narbe fehlt. Auch ist er weder klein, noch drahtig.»
«Und was ist mit dem echten Theophilus geschehen?»
«Das kann ich nur vermuten», seufzte Christophorus. «Möglicherweise wurde er auch ermordet, weil er unbequem wurde. Er ist als namenloser Pilger auf dem Augustinerfriedhof beigesetzt worden.»
«Woher wisst Ihr das alles?» Argwöhnisch sah Marysa ihn von der Seite an, doch er antwortete nicht auf ihre Frage, sondern stand auf. «Ich versuche, die Schöffen noch eine Weile
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