Die Stadt der Könige: Der geheime Schlüssel - Band 2 (kostenlos bis 14.07.2013) (German Edition)
Feodors Frage hatte sie nicht geantwortet. Sie hatte sich umgedreht und war ans Fenster getreten, dann hatte sie mit leiser Stimme zum Sprechen angesetzt.
„Bevor ich euch meinen Segen erteilen kann“, hatte sie gesagt, „solltet ihr folgende Geschichte hören.“
Phine legte den Meerrettich auf den Tisch und wischte ihre Hände an der Schürze ab. Sie zitterten immer noch, genau wie damals.
„Du, Josephine sollst sie hören, weil ich es meinem Vater versprochen habe. Und du Feodor sollst sie hören, weil ich nicht möchte, dass du blind in dein Schicksal läufst.“ Ein geheimnisvolles Lächeln hatte sich über die Züge der Großmutter gelegt, ehe sie sich Phine zuwandte. „Du weißt, dass dein ganzes Leben lang ein Schutzengel über dich wachte. Nachts hat er oft deine Träume behütet und tagsüber jeden deiner Schritte verfolgt. Unbesorgt konntest du mit deiner Schwester in den Wäldern vor der Stadt spielen, denn er war stets da.
Sie sah Feodor an. „Glaub nicht, ich sei eine alte, verwirrte Frau, die an übernatürliche Wesen glaubt. Der Engel, von dem ich spreche, ist wie wir aus Fleisch und Blut. Aber er ist kein Mensch. Er ist ein Elbe. Frendan´no ist sein Name. Er ist mein Vater.“
„Aber das ist unmöglich …“, hatte Phine eingewandt.
„Ich weiß, ich habe immer erzählt, mein Vater sei Müller gewesen. Deine Schwester hat das auch angemerkt, als ich ihr und ihrem Mann damals die Wahrheit erzählte.“
„Felicitas weiß davon? Und hat mir nichts gesagt!“
Die Großmutter hatte nur gelächelt und dann sofort zu erzählen begonnen. „Der Müller, der mein Vater wurde, heiratete meine Mutter, als ich drei Jahre alt war. Er wusste nichts über meinen leiblichen Vater. Meine Mutter hat niemandem von ihm erzählt. Ich glaube, sie wollte mich schützen. Ich war ein Bastard und nicht viele Menschen versäumten es, mich jeden Tag daran zu erinnern. Was hätten sie erst geredet, wenn sie die ganze Wahrheit gekannt hätten.“
Dann war die Tür aufgegangen und eine hochgewachsene Gestalt eingehüllt in einen bodenlangen Umhang hatte den Raum betreten. Frendan´no. Als die Kapuze nach hinten rutschte, sah Phine ein Augenpaar, das ihr wohl vertraut war.
Auch heute noch spürte sie den Schauer, der ihr damals den Rücken hinunterlief. Sie hatte nicht gewagt, über die Kraft zu sprechen, die ihr innewohnte, und hatte all die Jahre den Verdacht gehegt, dass diese Kraft etwas mit ihren elbischen Vorfahren zu tun hatte. Heute wünschte sie sich, es wäre jemand da, mit dem sie darüber sprechen könnte.
Doch ihren Schutzengel Frendan´no hatte sie seit jenen Tagen nicht wieder gesehen. Ihre Schwester war gestorben, und auch die Großmutter lebte nicht mehr.
Kurz vor Phines Hochzeit brach des Nachts ein Feuer im Haus ihrer Schwester aus. Rasend schnell schlugen die Flammen bis zum Dach. Schwer verletzt gelang es Felicitas, mit ihrem Kind aus dem brennenden Haus zu entkommen. Für ihren Mann kam jede Hilfe zu spät. Als Phine ihre Schwester sah, wusste sie, dass niemand mehr etwas für sie tun konnte. Sie gehörte bereits nicht mehr in diese Welt.
Die Großmutter war in jener einen Nacht um Jahre gealtert. Sie bestand darauf, dass Phine und Feodor umgehend abreisten, weigerte sich aber standhaft mit ihnen zu gehen. Sie sagte, sie hätte noch etwas zu erledigen und wollte sich dann von dieser Welt abwenden und mit ihrem Vater zu den Elben gehen.
Unverwandt sah Phine auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß gefaltet hatte und auf die sacht der Regen ihrer Tränen tropfte.
Obwohl das damals die glücklichste Zeit in ihrem Leben hätte sein sollen, war es die mit Abstand traurigste. Energisch wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Den Nachmittag vertrödeln und wegen alter Zeiten weinen, war nicht ihre Art. Sie strich ihre Schürze glatt und machte sich wieder an die Arbeit.
Als sie das letzte Gurkenfässchen in den Keller getragen hatte und die Küche in Ordnung gebracht war, wachte Lume´tai auf. Alle traurigen Gedanken, die Phine den Nachmittag über in Atem gehalten hatten, verschwanden. Lumi lächelte verklärt, als sie Phines Gesicht sah, und strampelte kräftig mit ihren Beinchen.
„Du bist ein Sonnenschein, mein Kind und ich wusste wirklich nicht, was mir fehlte, ehe ich dich sah“, hauchte Phine in die feinen Härchen, als sie Lume´tai aus ihrer Wiege hob und sie zärtlich an sich drückte. Sie trug sie nach oben, um ihr frische Windeln anzuziehen. Bald wurde es Zeit das
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