Die Stadt der Könige: Der geheime Schlüssel - Band 2 (kostenlos bis 14.07.2013) (German Edition)
stand er auf einem Bergpass. Vor ihm gab es keine eisverkrusteten Gipfel mehr, nur noch sanfte Hügel mit wenig Schnee. Ein beinahe lauer Wind riss verspielt an seinen Haaren, und wenn er genau aufpasste, konnte er die Morgenglocke in Corona läuten hören.
Er begann mit dem Abstieg und erreichte am späten Nachmittag des nächsten Tages den Turmberg. Unter der Silberpappel richtete er sein Lager ein. Diesmal würde er kein Quartier in der Stadt beziehen, um ein ähnliches Missgeschick wie beim letzten Mal zu vermeiden.
Ein hoher Feiertag hielt Corona in Atem. Lange Prozessionen festlich gewandeter Menschen füllten die Straßen der Stadt. All die Menschenströme endeten vor der Kirche. Ihre Glocken läuteten ununterbrochen, einzeln und zusammen.
Leron´das beobachtete das Treiben in der Stadt von seinem hochgelegenen Aussichtspunkt. An einem Tag wie diesem konnte er in der Stadt nichts ausrichten, aber er beschloss sich dennoch unter die Menschen zu mischen und an ihrem Fest teilzuhaben. Vorsichtig tastete er sich an das Rote Tor heran und suchte nach dem Netz des Zauberers, das ihm beim letzten Mal den Ausgang versperrt hatte. Aber von dem Netz war nichts zu spüren. Leron´das vermied es dennoch, dieses Tor zu benutzen. Er umrundete die Stadt und trat zum Hettigtor ein, wie er es beim ersten Mal getan hatte. Auf Nebenstraßen näherte er sich der Kirche und mischte sich unter das Volk.
An der Spitze jeder Prozession trug ein Mann ein Kind auf erhobenen Händen durch das Kirchenportal. Eine Frau, wahrscheinlich die Mutter, ging verschleiert hinter ihm her, danach folgten die anderen. Nachdem Leron´das als stiller Zuschauer alles eine Zeit lang beobachtet hatte, schloss er sich unauffällig einer Prozession an und betrat die Kirche. Dafür, dass sie voller Menschen war, herrschte erstaunliche Stille. Abgesehen von den Säuglingen, die dem Ganzen nicht viel abgewinnen konnten, hörte Leron´das nur die Stimme des Priesters, der irgendwo am gegenüberliegenden Ende der Kirche seine Litanei sang. Als er zum Ende kam, wiederholten die Menschen gemeinsam seine letzten Worte. Danach rückte der Strom ein Stück nach vorne und die Litanei begann von neuem. Ein Chor auf der Empore unterstützte den Priester und verlieh seiner Stimme an bestimmten Stellen noch mehr Gewicht.
Nach weiteren drei Litaneien konnte Leron´das die Worte des Priesters auswendig. Jetzt hatte er endlich freie Sicht auf das Geschehen.
Ein Vater und eine Mutter knieten nieder und boten dem Priester das Kind dar. Der nahm es, küsste es auf die Stirn und ging mit ihm zu einem Altar. Dort legte er es hin und bedeckte es mit einem weißen, bestickten Tuch. Das Kind begann vor Schreck erbärmlich zu schreien. Der Chor setzte ein, der Priester kniete vor dem Opferstein und rief dreimal den Namen des Kindes. Ein Schreiber vermerkte den Namen in einem großen roten Buch. Daraufhin erhob sich der Priester, machte eine ausladende Armbewegung über dem Tuch und zog es von dem Kind herunter. Er tauchte seine Finger in einen Tiegel mit roter Farbe und malte einen Kreis mit einem Punkt darin auf die Stirn des Kindes und sprach: „Tritt ein in die Gemeinschaft des Lebens." Andächtig wiederholte die Menge diese Worte, dann übergab der Priester das Kind dem Vater. „Gott erkennt deinen Sohn. Unter seinem Schutz wird er wachsen unter seinem Schirm soll er leben, bis er wieder eintritt in das Himmelreich. Nun wache über ihn im Namen des Herren."
Durch eine seitliche unscheinbare Tür verließen alle, die mit diesem Kind gekommen waren, die Kirche.
Während sich die Verwandten um das geweihte Kind drängten und die Mutter den Schleier vor ihren tränenfeuchten Augen lüftete, zog sich Leron´das in den Schatten zurück.
Er beobachtete noch den Rest des Tages, den nicht abreißen wollenden Menschenstrom.
In feierlichem Ernst betraten die Menschen ihre heilige Stätte und kamen gelöst und glücklich durch die kleine Seitentür heraus.
Dass so viele Kinder im Umlauf eines einzigen Jahres geboren waren, erfüllten Leron´das mit Staunen und Bewunderung.
Als die Sonne hinter den Bergkämmen verschwand, wurde es ruhiger auf den Straßen. Aus Gasthöfen und Häusern hörte man Menschen lachen und feiern. Nur wenige Prozessionen zogen noch auf den Straßen und das Gefolge von Gästen, das sie mit sich führten, wurde immer kürzer. Leron´das konnte sich jedoch nicht losreißen. Schließlich waren auch die Letzten aus der kleinen Tür getreten, da hörte er ein
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