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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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es doch nicht hinab!» In seinem Rücken krachte es, als ein Teil des Deckengebälks barst. Die Stützpfeiler, die es getragen hatten, knickten ein wie dünne Schilfrohre. Noch hielten sie dem Gewicht stand, doch es war abzusehen, dass sie in wenigen Augenblicken nachgeben würden. Es blieb kaum noch Zeit. Sprangen sie nicht auf der Stelle, würden sie von den schweren Balken erschlagen werden, noch bevor die Flammen über sie kamen.
    Griets Finger schlossen sich krampfhaft um die Enden des nassen Tuches, das sie sich vors Gesicht geschlungen hatte. Warum? Warum sprang sie nicht einfach? Was daran war so schwer? Sie wog viel weniger als der Buchhändler, und dort unten standen Menschen, die sie auffingen. Zumindest würden sie es versuchen. Trotzdem war sie wie gelähmt. Ihr Körper entzog ihr die Vollmacht über seine Glieder und ließ sie in einer Starre verharren. Die Furcht vor dem Feuer wog gleich schwer wie eine andere Furcht, die sie schon viele Jahre mit sich herumtrug. Eine Furcht, die sie quälte, sobald sie durch ein hochgelegenes Fenster in die Tiefe blickte oder in der Kirche auf der Empore saß. Sie schloss zitternd die Augen; während ihr der Schweiß in Strömen über Gesicht und Rücken lief, kämpfte sie gegen die Bilder an, die ihr Gedächtnis heraufbeschwor. Sie drehten sich wie ein Kreisel um ein Ereignis, das sich ihr für immer eingeprägt hatte. Der Grund, warum ihr Arm beschlossen hatte zu sterben, während der Rest ihres Körpers doch leben wollte.
    Während sie weiter verharrte, spürte sie plötzlich, wie ihre Füße vom Boden gerissen wurden. «Ich lasse Euch nicht hier oben umkommen», hörte sie Don Luis rufen. Sein Atem war genauso heiß wie das Feuer hinter ihr; sie spürte ihn auf ihren Wangen, was eigentlich nicht sein konnte, da ihr Gesicht doch unter dem Wolltuch geschützt war. Dann verwandelte sich das warme Gefühl in Kälte. Sie spürte, wie der Wind an ihren Kleidern zerrte, während ihre Beine noch mit der Hitze rangen. Dann wurde es dunkel.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 26
    Als Griet zu sich kam, lag sie auf einem Haufen Stroh. Die Halme piekten sie durch die Röcke hindurch, und sie blickte auf eine Stalllaterne. Durch ein Dach drang Schneeregen, draußen heulte der Wind.
    «Schön, dass Ihr wieder bei uns seid. Fühlt Ihr Euch besser?»
    Das war Don Luis’ Stimme. Er kniete direkt neben ihr im Stroh und sah sie besorgt an. «Ich musste ein wenig grob werden», gestand er zerknirscht lächelnd. Auf seinem Gesicht lag ein Rußfilm, und auch seine Kleidung mit der steifen Halskrause war stark in Mitleidenschaft gezogen worden. In seinem Blick lag jedoch Erleichterung darüber, dass sie das brennende Haus unverletzt hatten verlassen können. Griet konnte sich nicht erinnern, was genau geschehen war. Don Luis musste sie während ihrer Ohnmacht irgendwie aus dem Fenster geschoben und auf die Straße hinuntergeschafft haben.
    «Ihr hattet doch keine Wahl», sagte sie einsilbig. Sie schämte sich, im entscheidenden Moment die Nerven verloren zu haben.
    «Wie mir scheint, hattet Ihr auch keine.» Don Luis half ihr aufzustehen. Während sie das Stroh von ihrem Rock schlug, bemerkte sie in einem Winkel des Verschlags Paulus Dorotheus. Der Buchhändler rührte sich nicht. Auf seiner rechten Schulter saß, ebenso erstarrt wie er, sein Star. Das Tier hatte die erste Gelegenheit ergriffen, zurückzukehren und nach seinem Herrn zu suchen. Dorotheus saß mit angewinkelten Beinen im Stroh, wobei seine glasigen Augen ins Leere blickten. Seine Hand schloss sich um eine einzelne Buchseite, deren Ecken angesengt waren. Viel mehr als ein paar schmutzige Blätter, die noch draußen in matschigen Pfützen schwammen, war ihm von seiner berühmten Schriftensammlung nicht geblieben. Griet bedauerte den alten Mann zutiefst; die Bücher, die er sein Leben lang gehortet und eifersüchtig bewacht hatte, waren sein ganzer Lebensinhalt gewesen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte das Feuer alles in Asche verwandelt.
    «Wollt Ihr mir nicht davon erzählen?», lenkte Don Luis Griets Aufmerksamkeit zurück auf sich. Seine Stimme klang ernst, aber sanft, fast so sanft wie die Berührung seiner Finger auf ihrem Handgelenk. Sie entzog ihm ihre Hand nicht, die Berührung tat ihr gut, sehr gut, auch wenn sie wusste, dass Dorotheus keine zehn Schritte entfernt sein Schicksal beklagte.
    «Ich habe Euch mein Geheimnis anvertraut, Griet», flüsterte Don Luis. Er lächelte. «Meine unselige Familiengeschichte,

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