Die Stadt der schwarzen Schwestern
den Köpfen der Spanier und der Alten wie eine Standarte. Die Soldaten sprangen mit vor Ekel verzerrten Gesichtern zurück und drohten dem Mann fluchend Prügel an, weil er sie nass spritzte.
Griet erschrak, als sie den Fetzen im Licht der Lampe genauer betrachtete. Er stammte von dem Reiseumhang, mit dem ihr Vater nach Oudenaarde gekommen war.
«Macht weiter, da schwimmt noch etwas im Loch», rief die Weißhaarige. Die Frau blickte Griet an, während sie ihre Lampe wieder auf die Grube richtete. «Hast du’s schon gehört? Oben, bei den Weingärten, soll ein Kind vermisst werden.»
Griet reagierte nicht. Stumm verfolgte sie die monotonen Bewegungen der Männer, die mit ihren Stangen den Inhalt der Grube umpflügten, bis sie schließlich auf weitere Stofffetzen und auf einen etwa drei Fuß langen Gegenstand stießen. Dieser war in ein Leintuch gewickelt und mit Stricken verschnürt. Griet war einer Ohnmacht nahe. Sie zitterte, als die beiden Helfer das Bündel aus dem Loch zogen. Für einen erwachsenen Mann war es zu klein, demnach konnte nicht ihr Vater darin stecken. Aber …
«Holt mir ein Messer», bat sie den Schlachter, der mit betretener Miene vor seiner Haustür stand. Aus den Fenstern der gegenüberliegenden Häuser starrten mehrere Augenpaare auf die Gasse, als Griet sich über das Bündel beugte, um die Stricke durchzuschneiden. Niemand hielt sie zurück, nicht einmal die spanischen Soldaten, die zu verstehen schienen, was Griet befürchtete. Tatsächlich hatte das vor Schmutz triefende Leintuch die Form eines kleinen Leichensacks. Mit einem einzigen Schnitt trennte Griet den Stoff entlang der Naht auf. Dann warf sie das Messer davon und schlug die Hand vor den Mund.
Die Weißhaarige öffnete den Mund, um zu schreien, dann aber lachte sie hoch und schrill.
«Heilige Jungfrau Maria, und ich dachte …» Der Schlachter musste nicht aussprechen, was er gedacht hatte, alle wussten es. In dem Leintuch lag jedoch nicht der Leichnam eines Kindes. Es war der Kadaver einer Katze.
Jemand hatte ihr das Genick gebrochen und sie dann zusammen mit Sinters Kleidern in der Grube versenkt. Es war nicht schwer zu erraten, dass es sich um Basses Katze handelte.
Er lebt, schoss es Griet durch den Kopf. Sie erhob sich schwankend und ließ es zu, dass die Alte sie in den Arm nahm und behutsam zu einem Schemel führte, der neben dem Auslagebrett des Schlachters stand. Dort blieb Griet sitzen und starrte, überwältigt von ihren Gefühlen, ins Leere, bis die beiden Spanier schließlich auftauchten und ihr mit Händen und Füßen etwas mitteilten. Verständnislos funkelte sie die Männer an, doch dann bemerkte Griet, dass sie jemanden mitgebracht hatten. Es war Beelken.
Das Mädchen war bleich wie Sauerrahm, und ihre Augen waren gerötet, aber sie trug Basse auf dem Arm. Einen putzmunteren Basse, den nur der Gestank, der wie eine Wolke über der Gasse lag, zu stören schien. Griet stürzte schluchzend auf die beiden zu. Sie vergrub ihr Gesicht im Schopf des kleinen Jungen. Die Hand, die sich schwer auf ihre Schulter legte, nahm sie zunächst gar nicht wahr. Erst als die spanischen Soldaten, die ihre Scheu vor dem Wiedersehen von Mutter und Kind inzwischen überwunden hatten, mit einem lauten Knall den Deckel auf die Dunggrube schlugen, wandte sie sich um.
Hinter ihr stand ihr Vater und machte ein zerknirschtes Gesicht.
Griet starrte ihn an, sah, wie er den Mund öffnete, um zu einer Erklärung anzusetzen. Aber sie war zu müde, sie wollte nichts mehr hören. Nicht jetzt.
Rasch nahm sie Basse an die Hand und eilte mit ihm fort.
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Kapitel 12
Namur, Oktober 1582
Don Luis lenkte sein Pferd durch das Tor der gewaltigen Burganlage von Namur, die sich mit ihren Mauern und Türmen wehrhaft auf einem Hügel hoch über dem Fluss ausbreitete. Die Torwächter, die in der Mittagssonne dösten, nickten ihm verschlafen zu. Sie brauchten ihn nicht zu fragen, was ihn nach Namur führte; Don Luis war bereits ein paarmal in der Burg gewesen, er kannte sich aus.
Er übergab sein Pferd einem Stallburschen und wandte sich dem Portal zu, über dem ein mächtiger, mit schwarzem Schiefer bedeckter Erker hervorragte. Die Fenster waren weit geöffnet. Er war gerne in Namur, hier überfiel ihn nicht das Gefühl, eingesperrt zu sein und nicht atmen zu können wie in der Stadt. Diesmal hoffte er jedoch, dass seine Gespräche sich nicht zu sehr in die Länge zogen, er wollte so bald wie möglich nach Oudenaarde
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