Die Stadt der schwarzen Schwestern
Haus der Herren van Aubrement sah von nahem betrachtet noch einschüchternder aus als von fern. Abgestorbene Bäume streckten ihre Äste gen Himmel, als Griet Don Luis durch eine kleine Allee folgte, die vor dem Tor des grauen Bauwerks ganz abrupt endete. Der Boden dort war schlammig und von Wagenrädern und Hufspuren nahezu umgepflügt worden. Im hinteren Teil des Hofes sah Griet eine Kapelle mit spitzem Dach, über deren Pforte zu lesen war: Wo Hochmut ist, da ist auch Schande.
Griet überließ es Don Luis in seinem prächtigen spanischen Gewand, den Türklopfer zu betätigen, und hielt sich im Hintergrund. Ihr war es hier nicht geheuer. Wieder drängte sich das Bild einer Schar besorgter Nonnen in ihre Gedanken. Sie hatten hier gestanden wie sie jetzt und fröstelnd darauf gewartet, dass man sie einließ. Griet zwang sich, den Blick von dem hässlichen Löwenkopf zu lösen, der als Türklopfer diente. Die Figur riss den Schlund auf, als wolle sie Griet verschlingen.
«Nichts», sagte Don Luis missmutig. «Ich klopfe noch einmal.» Ungestüm donnerte er den Löwenschlund gegen die Tür, bis dahinter jemand kreischte, es sei genug, und er solle ihr nicht die Tür einschlagen, sonst lasse sie die Hunde los.
Eine hagere Frau, die so lang war, dass es den Anschein hatte, sie breche jeden Moment in zwei Hälften, öffnete. Den Mund schon geöffnet und bereit, eine Schimpftirade auf Don Luis niederprasseln zu lassen, hielt sie inne, als sie sein strenges spanisches Gewand bemerkte. «Oh, mein Gott, auch das noch. Ihr seid Spanier?»
Don Luis machte ein amtliches Gesicht. «In der Tat, gute Frau. Ich bin Don Luis de Reon, Abgesandter seiner Hoheit, des Herzogs Alessandro Farnese von Parma, Oberbefehlshaber der Truppen Seiner Majestät König Philipps von Spanien.»
Die hagere Dienerin spähte vorsichtig an Don Luis vorbei durch die Allee, als befürchtete sie, er könnte die spanischen Truppen gleich mitgebracht haben.
«Der Hausherr ist nicht zu sprechen», sagte sie. Sie wirkte noch nervöser und horchte ins Hausinnere. «Er lebt aber streng nach den Gesetzen und zahlt sogar den tiende penning , auch wenn ich diese Steuer für eine Unverschämtheit halte.»
«Oh, er wird sich Zeit nehmen müssen. Andernfalls komme ich mit einigen Landsknechten zurück, die ihn zwingen werden, mir Auskunft zu erteilen.»
Die Hagere wich der angedrohten Gewalt. Vermutlich hielt sie Don Luis für einen Steuereintreiber. Mit saurer Miene bat sie ihn und Griet in die Halle und forderte sie auf, dort zu warten.
Griet blickte sich um. Die Halle, von der eine Holzstiege zu den oberen Gemächern führte, war nicht groß, aber eines Landedelmannes durchaus würdig. Mit den Bodendielen, den getäfelten Wänden und dem prunkvollen, rußgeschwärzten Kamin, über dem ein Wappenschild angebracht war, erinnerte sie Griet sogar an das Zuhause ihrer Kindheit in Brüssel. Damals hatte ihre Familie ein feudales Stadthaus nicht weit von der kaiserlichen Residenz und dem Haus der Herzöge von Brabant bewohnt, das aber eines Nachts durch die Unachtsamkeit eines Hausdieners in Flammen aufgegangen war. Ihr Vater hatte es wieder aufbauen lassen, doch noch nach Jahren hatte Griet den Brandgeruch in der Nase gespürt.
Oben auf der Galerie tauchten nun zwei Männer auf. Sie starrten auf Don Luis und Griet herab und setzten sich erst in Bewegung, als Don Luis grüßend die Hand hob.
«Ich bin Gilles van Aubrement, Grundherr von Elsegem und Richter zu Lindewijk», stellte sich der ältere von beiden vor, als er das Ende der Treppe erreicht hatte. Dort blieb er stehen und hob erwartungsvoll die Augenbrauen.
«Don Luis de Reon!» Er nickte Griet zu. «Die Dame ist Griet Marx aus Oudenaarde, die auf ihrer Reise durch die Ardennen unter meinem persönlichen Schutz steht.»
Der Hausherr nickte Griet verständnisvoll zu. Er machte keineswegs den Eindruck eines stumpfsinnigen Eigenbrötlers. Er war mittelgroß und stämmig. Seine Wangen leuchteten rot und frisch, als habe er einen langen Spaziergang oder einen Ritt über die Wiesen hinter sich. Sein Begleiter indes wirkte abgezehrt, als verbringe er seine Tage bei Wasser und Brot in einem finsteren Kellergelass anstatt unter lebenden Personen. Daher schaute nicht nur Griet verblüfft drein, als Gilles van Aubrement den kränklich wirkenden Mann ausgerechnet als seinen langjährigen Arzt und Berater, Hieronymus Ferm, vorstellte. Ferm, dessen Körper in einem bodenlangen, karmesinroten Mantel steckte, verbeugte
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