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Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Titel: Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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wagte und sich schaudernd umdrehte, um auf das bereits bewältigte, vermeintliche Gefälle hinabzuspähen, da erblickte er hinter sich eine Steigung, die vollkommen jener glich, die er gerade erklomm: eine irrwitzige, schräge Eiswand, die endlos zu einer zweiten fernen Sonne emporstrebte.
    In der Verwirrung über diese widernatürliche Umkehrung schien Quanga den letzten Rest von Gleichgewicht einzubüßen – der Gletscher wirbelte und kippte um ihn herum wie eine haltlos rotierende Welt. Verzweifelt versuchte Quanga, sein Richtungsempfinden, das ihn noch nie zuvor verlassen hatte, wiederzugewinnen. Überall, so hatte es den Anschein, glommen kleine, blasse Nebensonnen, die ihn über endlosen Eishängen verhöhnten. Und abermals nahm er seine hoffnungslose Kletterei durch eine auf den Kopf gestellte Welt der Illusionen auf: ob nach Norden, Süden oder Westen, vermochte er nicht zu entscheiden.
    Ein plötzlich einsetzender Wind fegte über den Gletscher herab. Wie mit den tausendfachen Stimmen hämischer Teufel kreischte er in Quangas Ohren, stöhnte und lachte und heulte in den schrillen Tönen zersplitternden Eises. Er schien mit boshaften Fingern an Quanga zu zupfen und ihm den Atem aus den Lungen zu saugen, um den Quanga so qualvoll rang. Trotz seiner dicken Kleidung und der Schnelligkeit seiner mühsamen Kletterei spürte Quanga die spitzen und schmerzhaften Zähne der Kälte, die sich bis in sein Mark fraßen und nagten.
    Undeutlich erkannte Quanga bei seinem Aufstieg, dass das Eis nicht länger glatt war, sondern sich rings um ihn her zu Säulen und Pyramiden getürmt hatte, oder auf obszöne Weise zu noch wüsteren Gebilden aufgebrochen war. Gigantische, böse Gesichter aus bläulich-grünem Kristall grinsten anzüglich, missgebildete Schädel von dämonischen Bestien stierten bedrohlich und Drachen aus Eis bäumten sich auf, schlängelten sich an der Schräge entlang oder tauchten in bodenlose Gletscherspalten hinab.
    Außer diesen Fantasiegestalten, zu denen das Eis selbst sich verformte, sah Quanga, oder glaubte sie jedenfalls zu sehen, im Gletscher eingeschlossene menschliche Körper und Gesichter. Bleiche Hände schienen sich ihm verschwommen und flehentlich aus der Tiefe entgegenzurecken und er fühlte die Blicke aus den froststarren Augen von Männern, die in früheren Jahren verschollen waren, und sah ihre versunkenen Glieder, erstarrt in grotesken Stellungen der Qual.
    Quanga war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Taube und blinde Urängste, älter als der menschliche Verstand, füllten seinen Geist mit ihrer atavistischen Finsternis. Sie trieben ihn unerbittlich voran, so wie ein Tier getrieben wird, und gönnten ihm weder Pause noch Rast auf diesem teuflischen Albtraumhang. Wäre er zum Nachdenken gekommen, hätte er doch nur erkannt, dass es letztlich kein Entrinnen für ihn gab; dass das Eis, ein lebendiges und denkendes und böses Etwas, lediglich ein grausames und fantastisches Spiel trieb, das es in seiner unbegreiflichen Geistbegabtheit ersonnen hatte. Daher war es vielleicht sogar ein Segen für Quanga, dass er die Kraft zum Denken verloren hatte.
    Jenseits aller Hoffnung und ohne jede Vorwarnung erreichte er das Ende des Gletschers. Es war wie die jähe Wendung eines Traumgeschehens, die den Träumer unerwartet trifft – Quanga starrte einen Augenblick lang verständnislos auf die vertrauten hyperboreischen Täler, die sich südlich unter dem Trutzwall des Gletschers ausdehnten, und die vulkanischen Berge, die jenseits der südöstlichen Höhenzüge schemenhaft qualmten.
    Quangas Flucht aus der Höhle hatte nahezu den ganzen langen, subpolaren Nachmittag beansprucht und die Sonne hing nun schon dicht über dem Horizont. Die Nebensonnen waren verschwunden und die Eisdecke hatte wie durch einen unfassbaren Gauklertrick ihren ebenen Verlauf zurückgewonnen. Wäre Quanga imstande gewesen, seine Eindrücke noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen zu lassen, dann hätte er erkannt, dass er den Gletscher nicht ein einziges Mal dabei ertappt hatte, wie dieser seine bestürzenden übernatürlichen Wandlungen ausführte.
    Zweifelnd, als handelte es sich um eine Fata Morgana, die sich jeden Augenblick in Luft auflösen könnte, überblickte Quanga die Landschaft, die sich unterhalb des eisigen Trutzwalls seinen Augen darbot. Allem Anschein nach war er zu genau derselben Stelle zurückgekehrt, von der aus er und die Juwelenhändler ihre unselige Reise über das Eis angetreten hatten. Vor ihm

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