Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
kristallklarer Bach inmitten der leuchtenden Blütenkaskaden meerwärts plätscherte.
Blass und lichtdurchlässig zogen vor der Sonne ein paar Federwolken träge auf die Gipfel zu, und die jagenden Falken flogen auf gespreizten roten Schwingen zum Meer hinaus. Ein Duft, so schwer wie Tempel-Weihrauch, stieg von den Blüten auf, die er niedergetreten hatte. Reglos und drückend lag das grelle Licht auf ihm und verwirrte seine Sinne. Und Tortha, vom Klettern ein wenig erschöpft, schwindelte plötzlich unter einem sonderbaren Höhentaumel.
Als er sich davon erholte, erblickte er vor sich die Weiße Seherin. Einer Schneegöttin gleich stand sie inmitten der blutroten und himmelblauen Blumen, gehüllt in Schleier aus Mondfeuer. Ihre blassen Augen gossen ein eisiges Entzücken in seine Adern und sie musterten ihn rätselvoll. Mit einem Wink ihrer Hand, der wie ein Lichtflimmern an unzugänglichen Orten war, bedeutete sie ihm, ihr zu folgen, ehe sie sich umwandte und den Hang oberhalb der Wiese hinaufstieg.
Seine Erschöpfung hatte Tortha vergessen – hatte alles vergessen, außer der himmlischen Schönheit der Seherin. Er machte sich keine Gedanken wegen des Zauberbanns, der ihn umfing, wegen des wilden Liebestaumels, der in seinem Herzen aufwallte. Er wusste nur, dass sie ihm wieder erschienen war, ihn rief. Und er folgte ihr.
Bald wurde der Anstieg vor den aufragenden Bergflanken steiler und nackte Felsrippen stachen düster durch das Blütenkleid. Mühelos, leicht wie eine treibende Nebelschwade kletterte die Seherin Tortha voran. Er konnte nicht zu ihr aufholen; und obwohl der Abstand zwischen ihnen bisweilen größer wurde, verlor er ihre lichte Gestalt nie völlig aus den Augen.
Nun befand er sich inmitten finsterer Abgründe und schroffer Berghänge, wo die Seherin wie ein Stern durch die Schatten tauchte, die die Felswände in die Schluchten warfen. Über ihm schrien die wilden Bergadler und beäugten sein Vorankommen, während sie zu ihren Horsten schwebten. Kalte Rinnsale, die sich aus den ewigen Gletschern speisten, rieselten von überhängenden Felskanten auf ihn herab, und jähe Schründe gähnten vor seinen Füßen, in deren Tiefe schäumende Gewässer tosten.
Tortha war sich nur des einzigen Gefühls bewusst, wie es auch die Motte veranlasst, einer wandernden Flamme hinterherzuflattern. Weder stellte er sich Ziel und Ende seiner Reise vor noch die Erfüllung der seltsamen Liebe, die ihn vorwärtstrieb. Ungeachtet leiblicher Ermüdung, ungeachtet der Gefahr und des Unheils, die vor ihm liegen mochten, fühlte er das Delirium eines wahnsinnigen Aufstiegs in übermenschliche Höhen.
Oberhalb der schroffen Schluchten und Felshänge gelangte er zu einem hoch gelegenen Gebirgspass, einer einstigen Verbindung zwischen Mhu Thulan und Polarion. Hier verlief zwischen frostbenagten Felsflanken ein ehemaliger Verkehrsweg. Mittlerweile war er zerklüftet und schrundig und teilweise begraben unter dem Schutt von Steinlawinen und alten Wachtürmen. Durch den Pass abwärts wälzte sich gleich einem gewaltigen Lindwurm aus glitzerndem Eis die Vorhut der polaren Gletscher und empfing die Seherin und Tortha.
Inmitten der absonderlichen Inbrunst seines Aufstiegs wurde der Dichter sich zur Mittagszeit einer plötzlichen Kühle bewusst. Die Sonnenstrahlen waren nur noch matt und schenkten keine Wärme; die Schatten glichen den Tiefen aus dem Eis gemeißelter arktischer Grüfte. Ein ockerfarbener Wolkenfilm fegte schnell wie durch Zaubermacht über das Tal hinweg und verfinsterte sich, einem staubverklebten Spinnweben gleich, bis die Sonne leblos und fahl hindurchschien wie der Dezembermond. Vor dem Himmel über ihnen und jenseits des Passes schlossen sich Vorhänge von einem aus Bleifäden gewobenen Grau.
Hinein in die aufziehende Dunkelheit, über das bucklige Gletschereis hinweg, jagte die Seherin gleich einer fliegenden Flamme dahin; und sie wirkte vor den dunklen Wolken noch bleicher und leuchtender als zuvor.
Nun hatte Tortha die geriffelte Steigung des Eises bewältigt, das sich aus Polarion hinauswälzte. Er hatte die Passhöhe erklommen und musste bald das dahinter liegende offene Plateau erreichen. Doch als hätte übermenschliche Zaubermacht einen Sturm heraufbeschworen, fiel jetzt der Schnee in gespenstischen Wirbeln und blendendem Flockengestöber über ihn her. Wie im endlosen Flug weicher, weiter Schwingen kam der Schnee heran, ein unermessliches Schlängeln und Ringeln gestaltloser weißer Drachen. Eine
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