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Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Titel: Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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seinen Manuskriptstapel gesetzt hatte. Hinter dem toten Tier schimmerten die beiden schlangenförmigen Kerzenhalter.
    »Ah, da bist du ja«, sagte Schuler. Er wollte gerade seinen Korb öffnen, als ein außergewöhnliches und ziemlich unvorhergesehenes Ereignis eintrat. Sowohl er als auch Godfrey nahmen eine Bewegung auf dem Schreibtisch wahr: Vor ihren fassungslosen Augen hob die auf dem Papierstapel zusammengerollte Klapperschlange langsam ihren pfeilförmigen Kopf und ließ ihre gespaltene Zunge vorschnellen! Ihre kalten, lidlosen Augen ruhten unverwandt und mit einer Unheil drohenden Intensität auf den Eindringlingen, die fast schon hypnotisch wirkte. Und als sie in ungläubigem Grauen zurückstarrten, hörten sie das durchdringende Rasseln des Schlangenschwanzes gleich den trockenen Kernen in einer vom Winde geschüttelten Hülse.
    »Mein Gott!«, rief Schuler aus. »Das Vieh ist ja lebendig!«
    Während er diese Worte hervorstieß, entglitt die Taschenlampe Schulers Fingern und erlosch, sodass sie beide in pechschwarzer Finsternis zurückblieben. Einen Augenblick lang standen sie da, halb erstarrt vor Überraschung und Schrecken. Zugleich vernahmen sie das Rasseln abermals, und gleich darauf ein Geräusch, als würde etwas niederfallen und auf dem Boden auftreffen. Erneut erklang das durchdringende Rasseln, diesmal fast unmittelbar zu ihren Füßen.
    Godfrey entfuhr ein lauter Schrei und Schuler stieß einen kurzen Fluch aus, als sie beide herumwirbelten und auf die offene Tür zuliefen. Schuler besaß einen Vorsprung, und als er über die Zimmerschwelle hinweg in den schwach erleuchteten Flur rannte, wo noch eine einzelne Glühlampe brannte, hörte er, dass sein Freund stürzte und laut auf dem Boden aufschlug. Dabei schrie Godfrey erneut. Und in diesem Schrei lag ein so grenzenloses Grauen, solch furchtbare Qual, dass Schulers Hirn und selbst sein Knochenmark zu Eis gefroren. Im Griff einer lähmenden Angst, hatte Schuler jede Fähigkeit außer der Gabe zur Fortbewegung eingebüßt, und es kam ihm überhaupt nicht in den Sinn, dass die Möglichkeit bestand, stehen zu bleiben und festzustellen, was Godfrey zugestoßen war. Kein Gedanke, kein Wunsch erfüllte ihn, außer die volle Länge des Flurs zwischen sich und die verfluchte Bibliothek sowie das zu bringen, was darin geschah.
    Avilton stand im Schlafanzug vor der Tür seines Zimmers. Godfreys Entsetzensschrei hatte ihn als den Federn geholt.
    »Was ist passiert?«, fragte der Schriftsteller mit einer Miene freundlicher Verwunderung, die einem tiefernsten Ausdruck wich, als er Schulers Gesicht erblickte. Schuler war so weiß wie ein Marmorgrabstein, seine Augen unnatürlich weit aufgerissen.
    »Die Schlange!«, keuchte Schuler. »Die Schlange! Die Schlange! Etwas Furchtbares ist Godfrey widerfahren – er fiel hin, als das Ding ihm direkt auf den Fersen war.«
    »Welche Schlange? Du meinst doch nicht etwa die ausgestopfte Klapperschlange, oder?«
    »Ausgestopfte Klapperschlange?«, kreischte Schuler. »Das verdammte Vieh lebt! Es kroch hinter uns her. Noch vor einer Sekunde hörten wir ihr Rasseln direkt vor unseren Füßen. Dann stolperte Godfrey und fiel hin – und ist nicht wieder aufgestanden.«
    »Ich verstehe nicht recht«, säuselte Avilton. »Was du behauptest, ist völlig unmöglich – ja, es steht in krassem Widerspruch zu allen Naturgesetzen. Ich selbst habe diese Schlange vor vier Jahren in El Dorado County getötet und von einem professionellen Tierpräparator ausstopfen lassen.«
    »Komm mit und überzeug dich selbst!«, drängte ihn Schuler.
    Avilton schritt augenblicklich in die Bibliothek und schaltete das Licht ein. Schuler, der seine Panik und seine schrecklichen Vorahnungen ein Stück weit unterdrückte, folgte ihm in zaghaftem Abstand. Er sah, wie Avilton sich über Godfreys Körper beugte, der reglos und in einer grauenvoll verkrümmten Haltung nahe der Tür auf dem Boden lag. Nicht weit von ihm entfernt stand der zurückgelassene Fischkorb. Die ausgestopfte Klapperschlange lag zusammengerollt an ihrem gewohnten Platz oben auf dem Bücherschrank.
    Avilton, dessen Miene düster und nachdenklich geworden war, zog die Hand von Godfreys Herz zurück und erklärte: »Er ist tot – Schock und Herzversagen, vermute ich.«
    Weder er noch Schuler ertrugen es, länger in Godfreys aufwärts gewandtes Gesicht zu blicken, das einen Ausdruck der Furcht und der Qual trug, der – eingeprägt wie mit einem grässlichen Bandeisen oder von einer

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