Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
des äußersten Weltenrandes gähnenden Abgründen aufstiegen. Die ganze Wüste mitsamt ihren sanft gewölbten Bergkuppen, kurvenreichen Hügelketten und vergessenen Städten war in ein geisterhaftes, immer dunkler werdendes Purpurlicht getaucht.
Wenig später erschien von Norden her, wo die Schatten sich sammelten, eine sonderbare Gestalt – ein hochgewachsener, von Kopf bis Fuß in einen Kettenpanzer gehüllter Mann. Zumindest glaubte ich, es wäre ein Mann. Als die Gestalt näher kam, wobei ein dumpfes Klirren jeden ihrer Schritte auf dem trümmerübersäten Boden begleitete, erkannte ich, dass ihr Harnisch und ihr Helm aus Messing bestanden, der von Grünspanflecken überzogen war. Den Seiten des Kopfes dicht unter dem Helm entwuchsen spiralförmige Hörner und ein gezackter Kamm wand sich durch eine schmale Öffnung des Helms. Ich sage Kopf, denn in der zunehmenden Dämmerung vermochte ich es nicht deutlich auszumachen … Doch als die Erscheinung schließlich vor mir stand, gewahrte ich, dass sich unter dem bizarren Helm kein Gesicht befand. Leer zeichnete sich sein Umriss einen Augenblick lang vor der Glut des Abendrots ab, ehe die Gestalt, noch immer von traurigem Geklirr begleitet, vorüberschritt und verschwand.
Doch noch ehe die Sonne zur Gänze versunken war, folgte diesem Phantom mit weit ausgreifenden Schritten eine zweite Erscheinung, die erst stehen blieb, als sie im rötlichen Zwielicht fast unmittelbar vor mir aufragte. Es war die riesenhafte Mumie eines Königs aus grauer Vorzeit, auf dessen Haupt noch immer die Krone aus makellos glänzendem Golde saß. Doch als er sich mir zuwandte, blickte ich in ein Gesicht, das mehr als nur die Zeit und die Würmer zernagt hatten. Leinenbinden flatterten in Fetzen um die Beine des Gerippes, und über der von Saphiren und orangefarbenen Rubinen besetzten Krone wiegte sich ein dunkles, grässlich vor- und zurückschwankendes Etwas.
Im ersten Augenblick hatte ich nicht die blasseste Ahnung, worum es sich handelte. Dann öffneten sich in seiner Mitte zwei schräg stehende, flammend rote, wie Höllenfeuer lodernde Augen und zwei Fänge blitzten gleich Schlangenzähnen in einem affenartigen Maul. Ein gedrungener, haarloser, missgestalteter, auf einem viel zu kurzen Hals sitzender Schädel beugte sich herab und flüsterte der Mumie ins Ohr. Mit einem einzigen Schritt überbrückte der riesenhafte Leichnam die noch verbliebene Strecke zwischen uns. Aus den Falten der brüchigen Leinenbinden schob sich ein dürrer Arm, und fleischlose, üppig mit düster funkelnden Edelsteinen beringte Klauenfinger reckten sich mir entgegen und tasteten unbeholfen nach meiner Kehle …
Zurück, zurück floh ich – rannte Hals über Kopf zurück – zurück durch den unendlichen Irrsinn und all die Schrecken – fort, nur fort von diesen tastenden Klauen, die während des gesamten Abendgrauens beharrlich hinter mir herschwebten. Den ganzen Weg zurück rannte ich, ohne zu denken, ohne innezuhalten. Zurück zu den Abscheulichkeiten, die ich hinter mir gelassen hatte … zurück durch das stetig düsterer werdende Zwielicht … zurück zu der namenlosen, in Trümmer gesunkenen Stadt … Ich eilte zurück zu dem verwunschenen See … eilte zurück durch den furchtbaren Kaktuswald … eilte zurück zu den grausamen, gnadenlosen Schergen von Ong, die meine Wiederkehr bereits erwarteten.
Die Auferweckung der Klapperschlange
»Nein, Jungs, wie ich euch schon oft gesagt habe, gebe ich keinen roten Heller auf die Existenz des Übernatürlichen.«
Der dies sagte, war Arthur Avilton, dessen Erzählungen des Gespenstischen und Makabren oft mit dem Werk von Poe, Bierce und Machen verglichen wurden. Er war ein Meister des fantasievollen Grauens und beherrschte die Kunst des teuflisch überzeugenden Details, der ungeheuerlichen, dunkel verwobenen Andeutungen in einer Vollendung, die immer wieder eine einzigartige Faszination auf Leser ausübte, bei denen diese Art von Literatur normalerweise weder Gefallen noch Interesse findet. Gern und oft brüstete er sich damit, dass er seine sämtlichen Effekte unter Verwendung ausschließlich rationaler, ja wissenschaftlicher Mittel erzielte, indem er mit unterbewussten Ängsten und mit dem Aberglauben spielte, der als ein urzeitliches Erbe tief verborgen in den meisten Menschen schlummert. Zugleich behauptete er, selbst vollkommen frei von jedwedem Glauben an alles Okkulte oder Fantastische zu sein, und dass er in seinem ganzen Leben nicht den mindesten
Weitere Kostenlose Bücher