Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
verdunkelte.
»Leben!«, murmelte Manville. »Leben von bislang unbekannter Art und in einem Maßstab, der in unserer Welt nicht vorstellbar wäre …«
Der Gleiter raste nun mit einer Geschwindigkeit von über 250 Kilometern pro Stunde auf die wurmfarbene Masse zu. Nur noch wenige Augenblicke und wir mussten in diese pulsierende Gallertwand eintauchen. Ich riss das Ruder scharf herum … wir scherten nach Backbord ab und stiegen mit einer sonderbaren Trägheit über den Urwald auf, von wo wir freie Sicht nach unten hatten. Diese Schwerfälligkeit beunruhigte mich nach unserem vorherigen ungestümen Tempo. Es war, als kämpften wir gegen eine neue Schwerkraft von ungeahnter Stärke an.
Uns allen wurde übel, als wir hinunterblickten. Diese lebende Substanz erstreckte sich Kilometer über Kilometer und ihr vorderes Ende verlor sich im dampfenden Nebel. Es bewegte sich schneller voran als ein Mensch zu rennen vermag, dehnte sich aus und zog sich wieder zusammen auf diese schreckliche Art, als würde es atmen. Es besaß keine sichtbaren Gliedmaßen oder Fortsätze, noch irgendwelche erkennbaren Organe. Doch unverkennbar lebte das Ding und verfügte über ein Bewusstsein.
»Geh näher ran«, flüsterte Manville. In seiner Stimme kämpften Grauen und wissenschaftliche Faszination gegeneinander an.
Ich steuerte den Gleiter schräg nach unten, bemerkte jedoch sofort eine Zunahme des sonderbaren Soges, der uns erfasst hatte. Ich schaltete auf Schubumkehr und erhöhte die Schubkraft, um zu verhindern, dass der Gleiter steil nach unten schoss und uns glattweg im Objekt unserer Neugier begrub. Nun hielten wir uns hundert Meter oberhalb der rosafarbenen Masse in der Luft und bestaunten sie. Sie strömte unter uns dahin wie ein widernatürlicher Fluss, eine glatte, schimmernde Gezeitenwelle.
»Voyez!«, rief da plötzlich Rocher, der sich gern seiner Muttersprache bediente, obwohl sein Englisch ebenso gut war wie das unsere.
Zwei Flugungeheuer, groß wie Pterodaktyle, kreisten jetzt etwas tiefer als wir selbst über der dahinkriechenden Masse. Es hatte den Anschein, als kämpften sie ebenso wie unser Flugboot gegen eine mächtige, von unten wirkende Anziehungskraft an. Durch unsere luftdichten Schallventile konnten wir den tosenden Schlag ihrer gewaltigen Schwingen vernehmen, als die Ungetüme versuchten, an Höhe zu gewinnen, und dennoch langsam zu der rosafarbenen Fläche hinabgezogen wurden. Als sie ihr immer näher kamen, stieg eine gewaltige Woge aus der Masse empor, in deren Tal sich eine gähnende, schlundartige Höhlung auftat, worin Rinnsale einer farblosen Flüssigkeit ausströmten und zu einem blasigen Pfuhl zusammenflossen. Im nächsten Moment überschlug sich die Welle, verschlang die flügelschlagenden Monstren und sank spurlos, als wäre nichts geschehen, mitsamt ihren Opfern in die glatte, träge pulsierende Oberfläche zurück.
Wir warteten noch. Unterdessen bemerkte ich, dass die Vorwärtsbewegung der Masse zum Erliegen gekommen war. Abgesehen von jenem sonderbaren Pochen, verhielt sich die Masse nun vollkommen reglos. Doch in dieser Ruhe lag auch eine tödliche Bedrohung – so als würde das Ding lauern oder nachdenken. Dem Anschein nach hatte es keine Augen, keine Ohren, keine Sensoren irgendwelcher Art; und doch beschlich mich der Eindruck, dass es auf irgendeine unvorstellbare Art, mittels Sinnesorganen, die unser Begriffsvermögen überstiegen, um unsere Gegenwart wusste und uns aufmerksam abschätzte.
Und auf einmal sah ich, dass die Masse nicht länger ruhig war. Sie hatte damit begonnen, schleichend langsam und verstohlen eine kegelförmige Ausstülpung zu uns emporwachsen zu lassen – und am Fuße dieser Ausstülpung sammelte sich genau wie zuvor ein durchsichtiger, farbloser Pfuhl.
Der Gleiter schlingerte und drohte abzuschmieren. Die magnetartige Anziehung, oder was immer es war, war stärker geworden denn je. Ich erhöhte den Schub; wir stiegen mit zäher, quälender Langsamkeit auf – da schoss der Kegel unter uns übergangslos zu einer Säule empor, die sich neben uns auftürmte und über dem Gleiter zusammenschlug.
Bevor sie uns fortreißen konnte, hatte Manville den Auslöser einer der Bordkanonen entsichert, die Säule ins Visier genommen und eine Salve von Sprenggranaten hineingepumpt, unter der sich das über uns schwebende Unheil auflöste wie ein zerblasener Rauchfaden.
Unter uns erzitterte und zuckte der kegelförmige Fuß der gekappten Säule wie unter Krämpfen und sank in
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