Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
gewertet, dass sie tatsächlich nichts über den Verbleib des Gesuchten wussten.
Auch war kein Fluchttunnel ans Licht gekommen, als man die Wände und Böden der beiden Kellerräume aufgerissen hatte – trotz aller Gründlichkeit, mit der Morghi sogar die Bodenplatten unter dem Sockel eines obszönen Standbildes des Zhothaqquah hatte aufstemmen lassen, das im untersten Raum thronte. Nur mit äußerstem Widerwillen war er so weit gegangen, denn der plumpe, pelzbedeckte Gott mit seinem fledermausartigen Gesicht und faultierähnlichen Körper erfüllte ihn, den Hohepriester der Elchgöttin Yhoundeh, mit tiefster Abscheu.
Als die Inquisitoren nach einer zweiten Durchsuchung wieder im obersten Turmzimmer standen, mussten sie zugeben, dass sie mit ihrer Weisheit am Ende waren. Viel hatten sie nicht vorgefunden: ein paar Einrichtungsstücke und mehrere alte Bücher voller Beschwörungsformeln, wie sie zum Handwerkszeug jedes Hexenmeisters gehörten. Ferner einige mit abscheulichen Bildern bemalte Pergamentrollen aus Flugechsenhaut sowie eine Anzahl jener primitiven Urnen und Skulpturen und Totempfähle, die Eibon mit beträchtlichem Eifer zusammengetragen hatte.
Bei den meisten davon handelte es sich um unterschiedlichste Darstellungen Zhothaqquahs – sogar von den Henkeln der Urnen blinzelte sein Gesicht den Betrachter mit einem Ausdruck bestialischer Schläfrigkeit an. Außerdem bildete gut die Hälfte der Totems ihn ab (sie waren von unterentwickelten, halbmenschlichen Völkern gefertigt), die andere Hälfte zeigte das Walross und den Mammut, den Königstiger und das Yak. Morghi hegte nun keinerlei Zweifel mehr, dass die gegen Eibon erhobene Anklage bestens begründet war. Denn niemand außer einem Jünger Zhothaqquahs konnte wohl Gefallen daran finden, auch nur ein einziges Abbild dieses abscheulichen Wesens sein Eigen zu nennen.
Doch leider trugen solch zusätzliche Schuldbeweise, mochten sie auch noch so schwerwiegend, ja erdrückend sein, wenig zur Auffindung Eibons bei. Und während Morghi aus den Fenstern des obersten Zimmers starrte, unter denen die Mauern des Wohnturms lotrecht abfielen bis zu dem Riff, das an zwei Seiten weitere hundert Meter tief in die tosende Brandung abtauchte, sah der Inquisitor sich gezwungen, die überlegenen magischen Fähigkeiten seines Gegenspielers anzuerkennen. Sonst nämlich hätte das spurlose Verschwinden des Hexers ein unergründliches Geheimnis dargestellt. Und Morghi liebte Geheimnisse nicht, außer sie entstammten seinem eigenen Repertoire.
Er trat vom Fenster zurück und ließ den Blick mit äußerster Aufmerksamkeit durch jeden Winkel des Raumes wandern. Offenkundig hatte Eibon ihn als Arbeitszimmer genutzt, denn er enthielt ein Pult aus Elfenbein, auf dem ein Behälter mit Rohrfedern und eine Anzahl von Tontöpfen mit Tinten in verschiedenen Farben standen. Außerdem lagen Schreibbögen über den Tisch verteilt, die aus einer Art Bastfaser gefertigt waren. Jeder Bogen war bis an den Rand mit astronomischen und astrologischen Berechnungen bedeckt, bei deren Anblick Morghi finster die Stirn in Falten legte, da er sie nicht verstand.
An jeder der fünf Wände hing eine der Pergamentmalereien, die allesamt von irgendeinem Urvolk geschaffen schienen. Die Darstellungen waren blasphemisch und abstoßend, und jede zeigte Zhothaqquah, umgeben von Lebensformen und Landschaften, deren schiere Abnormität und Unförmigkeit wohl auf die ungelenke Technik der primitiven Künstler zurückzuführen waren. Morghi begann nun, die Pergamentbögen einen nach dem anderen von den Wänden zu reißen, als argwöhnte er, Eibon könnte sich auf irgendeine Weise dahinter verbergen.
Sämtliche Wände waren jetzt vollkommen kahl – und Morghi, inmitten des respektvollen Schweigens seiner Schergen, ließ lange Zeit sinnend den Blick auf ihnen ruhen. Die Entfernung des Wandschmucks hatte eine eigenartige Platte zutage gefördert, die genau über dem Pult mit den Schreibutensilien ganz oben in die südöstliche Wand eingelassen war.
Morghis buschige Augenbrauen zogen sich zu einem langen schwarzen Balken zusammen, während er dieses Paneel betrachtete. Es unterschied sich verdächtig vom Rest des dunklen Mauerwerks: ein oval geformtes Stück Wandverkleidung, gefertigt aus irgendeinem rötlichen Metall, das weder Kupfer war noch Gold; ein Metall, dem eine flüchtige Fluoreszenz anhaftete, ein flüchtiges Flirren fremdartiger Farben, wann immer man die Augen zusammenkniff. Doch aus irgendeinem
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