Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
vernahm, aber schon immer verstand. Sie erzählt mir von tödlichen Dingen, doch auch von Schönerem als selbst die Lüste der Liebe es sind. Was sie sagt, hat nichts zu tun mit Gut oder Böse noch mit irgendetwas, das das Erdengewürm begehrt oder begreift oder glaubt; und die Luft, die sie atmet, und der Boden, den sie beschreitet, würden gefrieren gleich den eisigen Weiten des Alls; und ihre Augen würden die Menschen blenden gleich Sonnen; und ihr Kuss, so sie ihn jemals gewährte, ließe Asche zurück gleich dem Kuss eines Blitzes.
Doch hör’ ich ihr fernes und nur selten vernehmbares Flüstern, so seh’ ich ein Traumbild gewaltiger Polarlichter über Kontinenten, die größer sind als die Erde, und Meere, die zu gewaltig sind, als dass Menschenschiffe ein Ufer erreichen. Und zuweilen wiederhole ich plappernd die fantastische Kunde, die sie mir bringt – auch wenn kein Mensch solche Kunde begrüßt und niemand ihr Glauben schenkt oder Gehör. Und dereinst, in einem Morgenrot am grauen Abend meines Lebens, werde ich aufbrechen und folgen ihrem lockenden Ruf … um das erregende und köstliche Verderben ihrer schneehellen Horizonte zu suchen … um inmitten ihrer unberührten Weiten zu sterben.
Das Tor zum Saturn
Als Morghi, der Hohepriester der Göttin Yhoundeh, mit Verstärkung durch zwölf seiner blutgierigsten und willfährigsten Handlanger im Morgengrauen eintraf, um den berüchtigten Ketzer Eibon in seinem Wohnturm, der auf einer Landspitze oberhalb des nördlichen Festlands aus schwarzem Gneis errichtet worden war, dingfest zu machen, da traf das Greifkommando den Gesuchten zu ihrer aller Überraschung und beträchtlichen Enttäuschung dort nicht an.
Ihre Überraschung war umso größer, als sie alles Machbare unternommen hatten, um ihr Opfer zu überrumpeln. Ihre Intrige gegen Eibon war unter strengster Geheimhaltung in unterirdischen Gewölben und hinter schalldicht versiegelten Türen ausgeheckt worden. Hinzu kam, dass sie die lange Reise zu Eibons Haus noch in der Stunde seiner Verurteilung angetreten hatten und binnen einer einzigen Nacht ans Ziel gelangt waren. Enttäuscht aber waren sie, weil der furchterregende Haftbefehl mit seinen eingebrannten symbolischen Runen auf einer Rolle aus gegerbter Menschenhaut mithin nutzlos geworden war und weil nun keine Aussicht mehr auf die baldige Erprobung der ausgeklügelten Marterwerkzeuge und Foltertechniken zu bestehen schien, die sie mit solcher Hingabe für Eibon ersonnen hatten.
Morghi war besonders enttäuscht. Die Verwünschungen, die er zwischen zusammengepressten Zähnen hervorstieß, als auch das höchst gelegene Zimmer des Wohnturmes sich als leer erwies, waren wahrhaft kabbalistisch in ihrer Länge und in ihrer Entsetzlichkeit.
Eibon war sein Erzrivale auf dem Gebiet der Hexenkunst und erwarb sich schon seit Langem viel zu viel Ansehen unter den Bewohnern von Mhu Thulan, jener äußersten Halbinsel des hyperboreischen Kontinents. Daher hatte Morghi einigen übelwollenden Gerüchten, die über Eibon in Umlauf waren, nur allzu bereitwillig Glauben geschenkt und sie zum Hauptpunkt seiner Anklagen gegen den verhassten Widersacher erwählt.
Diese Gerüchte bezichtigten Eibon, ein Anhänger des längst schon vom Podest gestoßenen heidnischen Gottes Zhothaqquah zu sein, dessen Kult unermesslich viel älter war als die Menschheit. Angeblich verdankte er seine Hexenkräfte der verbotenen Verbindung mit dieser finsteren Gottheit, die vorzeiten von fremden Welten aus einem unbekannten Universum auf die Erde herabgestiegen sei, als der Planet kaum mehr gewesen war als ein Morast aus brodelndem Urschlamm. Zhothaqquahs Macht wurde noch immer gefürchtet – und man munkelte, dass jene, die bereit waren, in seinen Diensten ihre Menschlichkeit aufzugeben, die Erben vorweltlicher Geheimnisse würden und Herren über ein Wissen von so entsetzlicher Natur, dass es nur von fernsten Planeten aus dem Wiegenalter des Weltalls stammen konnte, als Nacht und Chaos herrschten.
Eibons Wohnsitz war in Form eines fünfkantigen Turms erbaut und besaß fünf Geschosse, einschließlich jener beiden, die unterhalb der Erde lagen. Selbstverständlich war jedes einzelne davon mit peinlicher Sorgfalt durchsucht worden. Außerdem hatte man die drei Diener Eibons unter Anwendung kochenden Teers einer langsamen Tropfenfolter unterworfen, um ihnen das Versteck ihres Herrn zu entreißen. Ihr anhaltendes Leugnen, auch nach halbstündiger peinlicher Befragung, wurde als Beweis
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