Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
Haut, und meine Atmung wird flacher. Ich bin froh, dass ein Feuer zwischen uns ist. »Warum?«
Er zögert, und ich merke, dass er abwägt, was er als Nächstes sagen soll. Und ich frage mich, ob das alles vielleicht nur sorgfältig konstruierte Lügen sind.
»Weil ich Elias versprochen habe, dich zu finden«, antwortet er schließlich.
Das ist alles zu seltsam und kompliziert, ich verstehe es nicht. »Du hast Elias vorhin schon erwähnt.« Ich halte inne, in der Hoffnung, dass er die Stille füllt.
Er tut es nicht, und ich bedränge ihn: »Wo ist er?Woher hast du überhaupt gewusst, dass ich es bin, die du suchst?«
Sein Blick brennt mehr als die Flammen, er wandert über mein Gesicht, an meinem Körper entlang. Irgendetwas ist daran, das ich nicht verstehe, etwas Schmerzliches und Unbeholfenes. Ich spüre, dass er die Linien meiner Narben verfolgt.
Das fassungslose Starren bin ich gewohnt, manchmal bemerke ich es nicht einmal. Es gehört einfach zu meinem Leben . A ber dieser Mann bringt mich dazu, mich an jede einzelne Narbe an meinem Körper zu erinnern wie an frischeWunden, die eitern und brennen.
Er sollte mich erkennen, weil ich aussehe wie meine Schwester, aber deshalb hat er mich nicht erkannt, wird mir klar. »Oh«, hauche ich sprachlos. Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Die Narben.« Die Mauern in mir, mit denen ich mich schütze, stürzen ein. Ich schließe die Augen und versuche sie wieder aufzubauen, höher als zuvor . A ber etwas von dem Schmerz und der Hässlichkeit dringt hindurch.
Manchmal – selten – kann ich vergessen, wie ich aussehe, und es ist mir peinlich, als ich erkenne, wie Elias mich beschrieben haben muss. Natürlich ist die Anweisung: »Halt nach dem wütenden Mädchen mit den Narben auf der linken Körperhälfte Ausschau« leichter zu befolgen als: »Halt Ausschau nach dem Mädchen mit dem dunkelblonden Haar, das nie vom Boden aufsieht.«
Ich reibe das Kinn an meiner Schulter, als ob ich dieVerletzlichkeit des Augenblicks damit wegkratzen könnte. Dann rutsche ich herum, bis meine Messerspitze über den Boden schrammt. Das erinnert uns beide daran, dass ich noch immer eineWaffe habe. Ich habe immer noch ein wenig Kontrolle.
Catcher scheint etwas sagen zu wollen, aber er presst die Lippen fest aufeinander. Ich breche das verlegene Schweigen zwischen uns, indem ich die naheliegende Frage stelle: »Und warum hat mein Bruder dir gesagt, dass du mich finden sollst?«
Er schaut auf mich herunter. »Ich weiß, dass er nicht dein Bruder ist, Annah.«
7
I ch springe auf und gehe auf die Dunkelheit zu, die denTunnel am Ende des Bahnsteigs verschlingt. Niemand soll wissen, dass Elias nicht mein Bruder ist. Niemand kann es wissen, es sei denn, er wäre aus meinem Dorf, oder einer von uns beiden hätte es ihm erzählt. Und wir haben geschworen, es niemals zu verraten. Er kann mich so besser beschützen.
Ich räuspere mich, aber irgendwie stecken dieWorte fest.Woher weiß er, dass Elias nicht mein Bruder ist?Was hat Elias ihm über mich erzählt? Und was weiß er sonst noch?Was hat er mit meiner Schwester zu tun?Wo ist Elias, und warum ist er nicht zurückgekommen? Ich habe das Gefühl, Catcher spielt irgendein Spiel mit mir – und ich kenne die R egeln nicht.
Mein ganzer Körper verkrampft sich vor Frustration. Ich bleibe am Bahnsteigrand stehen und schaue in das Dunkel, das das Licht des Feuers hinter mir frisst . A bseits der Flammen ist es kälter, die letzte Wärme weicht schnell aus meinen Kleidern, als die Eiseskälte meine Haut durch Nähte und Löcher angreift. Ich ziehe den Mantel fester um mich. Das R eden fällt mir leichter, wenn ich Catcher nicht sehen muss – wenn ich die Unsicherheit in meinem Gesicht nicht vor ihm verbergen muss.
Ich mag es nicht, wenn andere etwas über meine Angelegenheiten wissen, das gilt besonders für Fremde. Ich will gern diejenige sein, die bestimmt, was Leute über mich erfahren – und wann.
Mein Magen knurrt. »Wir sollten gehen«, sage ich ihm. »Und uns überlegen, wie wir meine Schwester finden.« Die unterirdischenTunnel sind nicht sicher, das ist allgemein bekannt.Wenn die Ungeweihten keine lebenden Menschen in ihrer Nähe spüren, verfallen sie in eine Art Starre, ähnlich wie Insekten, die lange auf Futter und die Gelegenheit, Ansteckung zu verbreiten, warten können. Jeder weiß, dass es hier unten Nester von Pestratten gibt, zu denen man sich nicht verirren sollte.
Seit ich in der Stadt lebe, höre ich schon die
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