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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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ich bin mir nicht sicher, ob ich schon bereit bin, das zu glauben.
    Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich das je sein werde. Ich schließe die Augen und versuche mich an das Dorf zu erinnern, in dem ich aufgewachsen bin. Meine Erinnerungen sind nichts weiter als Ahnungen von Farben, Gerüchen und Geräuschen.
    Der Geruch von den verkohlten Überresten der Kathedrale, die lange vor meiner Geburt niedergebrannt war, das Kichern meiner Schwester abends vor dem Einschlafen, ihre verschwitzte Hand auf meinem Arm. Der grüne Hügel, auf den wir geklettert sind, damit wir über die Baumwipfel hinwegschauen konnten.
    Die Bilder aus derVergangenheit überrollen mich. Die dummen Zäune, durch die wir uns unbedingt schleichen mussten. Der dumme Stein, über den meine Schwester gestolpert war. Und ich, die Dumme, die sich lieber mit Elias zu anderen Abenteuern aufgemacht hat, die uns doch nur in die Irre geführt haben.
    Ich rolle mich ganz klein zusammen, drücke mich in eine Ecke des Raumes und bedecke den Kopf mit den Armen, um die Karten, das Licht und die Gedanken anVergangenes auszublenden . A ber eine Erinnerung will mich nicht loslassen, und ich knirsche mit den Zähnen und hasse mich sogar noch, wenn ich sie zum wiederholten Male durchlebe.
    Sobald wir aus demWald geflohen waren und denWeg zur Dunklen Stadt gefunden hatten, begann Elias mich Schwester zu nennen. Für die Leute war es leichter zu glauben, dass wir Geschwister waren, die ihre Eltern an die Ungeweihten verloren hatten. Die Leute stellten nicht so viele Fragen, und mit der Zeit wurde das so selbstverständlich, dass ich schon selbst dran glaubte.
    Doch in den Monaten bevor Elias sich den R ekrutern anschloss, veränderte sich etwas in mir. Es war mir peinlich, mich umzuziehen, wenn er im Zimmer war. Ich konnte nicht schlafen, weil ich mir nachts seiner Atemzüge so bewusst war und wie er sich unter den zerlumpten Decken regte. Die Narben an Gesicht und Körper störten mich jetzt mehr, ich probierte jede Mixtur aus, die ich auf dem Schwarzmarkt in die Finger bekommen konnte, um sie zumVerblassen zu bringen.
    Eines Nachts zog mich Elias mit dem Geruch in derWohnung auf. Ich gestand ihm, dass es eine Creme zur Behandlung der Narben war, die ich in den Neverlands eingetauscht hatte. Der Mond schien so hell in die Gasse, dass wir beide im Licht standen, als er sich zu mir umdrehte.
    »Oh, Annah«, sagte er. In seinem Flüstern lag etwas, das ich nicht zu deuten wusste.
    Er strich mit dem Finger über die Narben. Es fühlte sich anders an als alles, was bisher zwischen uns gewesen war. Er begann im Gesicht, fuhr an jeder Narbe entlang den Hals hinunter. Dann schob er den Kragen meines Nachthemdes beiseite und strich mir über den Arm und die Seite.
    So viel Gefühl wallte in mir auf, meine Haut wurde unter seinen Händen so lebendig, dass ich dachte, ich würde explodieren. Jedes Mal, wenn er meine Kleider berührte, dachte ich, er würde aufhören. Ich dachte, ich würde träumen . A ber er machte weiter . A n der Hüfte entlang, den Schenkel hinab. Um dieWaden herum und bis zur äußersten Spitze meines kleines Zehs.
    Da keuchte ich längst, und er zitterte. Dann wich er zurück und schaute mich an, die Luft zwischen uns war so aufgeladen, dass ich dachte, jeder auf derWelt müsse diese Hitze spüren.
    »Du bist so schön«, flüsterte er.Tränen brannten mir in den Augen. Ich glaubte es nämlich. In diesem Augenblick im Mondschein, als er mich ansah, fühlte ich es wirklich. Und es war, als hätte er mit seiner Berührung jede Narbe auf meiner Haut ausgelöscht.
    In jenem Augenblick kam mir alles lebendig vor. DieWelt war wieder neu und voller Hoffnung . A ls er mich auf die Matratze zog und mich an sich drückte, fiel ich zum ersten Mal in meinem Leben in einen unbeschwerten Schlaf. Das Lächeln auf meinem Gesicht war so groß, dass es schon wehtat.
    Als ich aufwachte, war Elias fort. Er kam erst nach Hause, als die Nachmittagssonne herunterbrannte und ich bereits verrückt vor Sorge war. Unter dem Arm trug er eine R ekruteruniform . A m Morgen hatte er sich gemeldet, am Abend würde er in die Ausbildung gehen.
    JedenTag bohrt der Schmerz dieses Augenblicks in mich. Die Erniedrigung undWut, das Elend und die Ablehnung. So viele Gefühle wühlen mich auf, zwingen mich, alles wieder und wieder von Neuem zu durchleben. Nie zuvor war ich mir so hässlich und ungewollt vorgekommen.
    Und was an diesemTagWurzeln geschlagen hat, ist seitdem gewachsen und

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