Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
müssen wir für dieTage dankbar sein, die wir gehabt haben.«
Ich zögere und lächele, sie soll glauben, dass ich von meinen eigenenWorten überzeugt bin. »Und dann rennen wir.« Nun grinse ich sie an.
Da lacht sie, ein Funkenregen aus Freude. Sie lacht immer noch, als die Tür aufgeht und Catcher hereinkommt. Sein Blick geht zwischen uns hin und her, sein Schritt wird unsicher.
»Ich war besorgt, als du losgelaufen und nicht wiedergekommen bist.« Ich weiß nicht, mit wem von uns beiden er redet, zupfe an den fransigen Enden meines Haares, bis es mir übers Gesicht fällt.
»Alles okay mit dir, Catch?« Das klingt so vertraut, man merkt gleich, dass sie schon lange befreundet sind.
Catcher schaut mich über ihre Schulter hinweg an, dann greift er sich mit der Hand in den Nacken. Sie gibt ihm einen Klaps auf den Ellenbogen. »Du erinnerst mich an Elias, wenn du das machst«, sagt sie scherzhaft, und er wird ganz weiß im Gesicht und lässt die Arme hängen.
»Er sucht dich«, sagt Catcher.
Obwohl ich ihr Gesicht nicht sehen kann, weiß ich, dass sie strahlt. »Wo?«, will sie wissen.
»Drüben im Kommandantenbüro im Hauptgebäude. Sie beenden gerade dieVerhandlungen darüber, wo du wohnen wirst.«
Meine Schwester macht einen Schritt Richtung Tür, kehrt dann aber um, als wäre ihr gerade eingefallen, dass ich auch noch da bin. Sie will etwas sagen, aber ich falle ihr insWort. »Geh nur«, sage ich, und sie lächelt und läuft hinaus in den verschneiten Nachmittag. Catcher und ich bleiben allein zurück.
Ich bin befangen in seiner Gegenwart . A ls wir das letzte Mal allein waren, hatte ich ihm die Beine um dieTaille geschlungen und ihm das Gesicht zwischen die Schulterblätter gedrückt.Wenn ich an die Wärme dieser Augenblicke denke und daran, wie sich das Spiel seiner Muskeln unter meinen Fingern angefühlt hat, als er mich durch den überflutetenTunnel getragen hat, werde ich rot.
Ich räuspere mich, damit ich bei diesen Gedanken nicht anfange zu zittern.
»Ich kann versuchen, dir einen anderen Mantel zu besorgen, wenn ich wieder in der Stadt bin«, sagt Catcher. Er steht fast im Dunkeln, der Ungeweihte läuft noch immer in seinem Rad herum, und die Lampen flackern summend.
»Das ist der Einzige, den ich besitze«, erwidere ich und zupfe an dem abgetragenen Stoff.
»Ich hole dir einen neuen«, verspricht er, und ich versuche nicht daran zu denken, was das bedeutet. Er wird plündern, wird ihn irgendeinem Ungeweihten abnehmen. Doch wahrscheinlich ist der hier auch so beschafft worden. Deshalb war er wohl so billig, als ich ihn vor ein paar Jahren eingetauscht habe.
»Sie schicken dich also wieder über den Fluss?« Bei dem Gedanken, freiwillig zurück in die Stadt zu gehen, fängt meine Haut an zu jucken . A ll diese Ungeweihten . A ll die Panik und Hoffnungslosigkeit.
Catcher nickt.
»Geht es dir gut?«
Er zuckt mit den Schultern. »Wie ich schon sagte, wir tun, was wir tun müssen, um zu überleben.«
Die Monotonie in seiner Stimme irritiert mich. Wir kennen uns zwar noch nicht lange, aber ich hatte gedacht, wir hätten einen Punkt erreicht, wo wir ehrlich über unsere Lage reden könnten.
»Genau«, entgegne ich. »Es geht nur ums Überleben.« Er soll mir widersprechen. Etwas sagen, egal, was, aber er nickt nur wieder, als ob wir völlig Fremde füreinander wären.
Er hat mich total ausgeblendet, und das tut weh. Ich werde wütend, weil ich mir überhaupt Gedanken um ihn gemacht habe. Einen Augenblick lang starre ich ihn an, während der Ungeweihte stöhnend weiterrennt. Catcher schweigt, sein Blick ist verschlossen. Ich gehe zur Tür.
»Viel Glück«, sage ich . A ls ich an ihm vorbeigehe, bewegt er sich, und ich streife seine Hand. Mein Schritt wird unsicher. Ob das Absicht war? Da ich das nie erfahren werde, gehe ich hinaus in den eiskalten Nachmittag und lasse mir das heiße Gesicht vom Schnee kühlen.
18
D raußen versuche ich mich zu orientieren. Ich habe keine Ahnung, wo ich mich aufhalten darf, deshalb gehe ich zurück an den einzigen Ort, den ich kenne: den Kartenraum.
Er ist leer. Die Laternen brennen noch, ich schaue auf die Wände. Eine schwarze Nadel der Hoffnungslosigkeit nach der anderen. Orte, die es einmal gegeben hat. Mein Kopf tut weh, mein Magen ist leer, ich bin erschöpft.
An dieWand gelehnt rutsche ich nach unten, bis ich auf dem Boden sitze, umgeben von einer vergangenenWelt. Ox’Warnung, dass wir alles sind, was noch übrig ist, geht mir im Kopf herum, doch
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