Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
erblüht.
Ich schlafe so tief, dass mich der Luftzug und die Schritte nicht gleich wecken. Erst als ich am Arm gepackt werde, wache ich langsam auf. Ich will schon um mich schlagen, doch meine Muskeln sind zu verspannt. Dann sehe ich, wer mich geweckt hat.
Elias. Er kniet vor mir und rüttelt mich sacht. »Annah«, sagt er leise. Seine Stimme treibt mir die Glut über die Haut.
Erleichterung flackert über sein Gesicht, als ich die Augen öffne. Im Schneidersitz hockt er sich neben mich, sein Knie berührt meinen Schenkel. Sofort fällt mir wieder ein, wie es sich angefühlt hat, als seine Hände meinen Körper berührt haben … und ich atme tief ein.
»Ich hatte solche Angst, dir könnte etwas zugestoßen sein«, sagt er.
»Tut mir leid. Ich wollte nicht einschlafen, ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte.« Nur eine Laterne brennt, die uns in ein schwaches Licht hüllt, man hat das Gefühl unterWasser zu sein.
Nachdem Elias zu den R ekrutern gegangen war, habe ich von diesem Augenblick geträumt: Er kehrt heim, ich sehe ihn endlich wieder. Ich habe dieses Gespräch mit ihm so oft und an so vielen Orten geführt. Ich habe mir seine Stimme vorgestellt, seinen Gesichtsausdruck und wie es sich anfühlt, wenn seine Hände über meinen Körper streichen.
Und doch bin ich so hilflos. Irgendetwas fehlt zwischen uns … diese stille Intensität, die vor seinemWeggang erblüht war.
Ich will mit ihm reden, will ihm erzählen, was er in den letzten drei Jahren verpasst hat. Doch als ich den Mund öffne, kommt nichts.Was hat er denn schon verpasst? Endlose graueTage. Monotonie. MontagsVorräte besorgen, dienstags backen für dieWoche, mittwochs nach Sachen suchen und in der Zeit dazwischen … nichts.Warten. Kämpfen. Überleben.
Was hat sich an mir verändert, seit er weggegangen ist? Wie kann ich ihm erklären, wie einsam und ängstlich ich war? Wie ich am Anfang jede Stunde desTages an ihn gedacht habe, bis ich nichts anderes mehr tun konnte, als endlose Stunden an jemand anders als mich selbst zu denken.
Ich habe gegessen, nicht weil ich hungrig war, sondern weil ich überleben und für ihn da sein wollte, wenn er wiederkam.
Und ich habe lange gebraucht, bis ich aufhören konnte, nicht mehr jeden Moment eines jedenTages an ihn zu denken. Es war schwer, ihn so weit von mir zu schieben, dass ich mich von seiner Abwesenheit erholen konnte. Ich hatte mir geschworen, nie wieder so etwas durchzumachen. Wie soll ich ihm das erklären?
»Ich habe an dich gedacht«, sagt Elias schließlich. Ich wende den Blick ab, damit er nicht sehen kann, dass ich innerlich zusammenbreche. Ich muss mir auf die Lippe beißen, um kein Geräusch von mir zu geben.
»Die ganze Zeit habe ich an dich gedacht, Annah.« Seine Hand streift meine Hüfte, als er sein Gewicht verlagert. Ich schließe die Augen.
In meinen geheimstenTräumen sagt er das immer zu mir . A ber in meinen geheimstenTräumen sind wir nicht in einem kahlen Raum in einem alten, verlassenen Gebäude, sondern draußen in der Sonne auf einem grünen Hügel, wo in der warmen Brise Apfelblüten um uns herumtanzen.
Meine Beine sind so unruhig, ich stehe auf und gehe zwischen den Tischen auf und ab. Ich muss weg von dem, was so vertraut ist, dem Geruch, dieser sirrenden Nähe. In meinenTräumen schließt er mich an dieser Stelle in die Arme. Und dann streicht er mir übers Gesicht und bringt auf magischeWeise alle Schmerzen unsererVergangenheit zumVerschwinden.
Und dann sagt er mir, dass er mich liebt und dass er mich nie wieder verlassen wird. Und wie leid es ihm tut, er hätte nie weggehen sollen. Denn ich bin alles für ihn.
Ich habe immer gedacht, das wäre, was ich mir immer gewünscht habe. Und seine Nähe hat so etwasVerlockendes, ich könnte mir jetzt noch leicht wünschen, mich an ihn zu lehnen, obwohl ich weiß, wie absurd das ist. Wir sind praktisch Fremde füreinander.
Er soll mir so etwas nicht wieder antun. Ich will mich nicht immer nach einem Mann sehnen, der niemals mein Mann sein kann. Ich verdiene jemanden, der mich ebenso will wie ich ihn.
Elias sitzt einfach mit den Händen im Schoß da und beobachtet mich. Ich weiß nicht, was er denkt oder fühlt, und dieses Nichtwissen sitzt mir wie ein Kloß im Hals.
»Wo bist du gewesen?«, frage ich schließlich. Ein Schrei derVerzweiflung.
»Ich war bei den R ekrutern«, antwortet er. Er will noch mehr sagen und hat den Mund schon aufgemacht, aber es kommt nichts.
»Das weiß ich, aber …« Es gibt zu
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