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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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wenn er nun den Blick über die bunten Fahnen schweifen ließ und die lärmende, wuselige Lebendigkeit des Treibens betrachtete, befiel ihn unwillkürlich der Drang, zu den Verkäufern hinunterzulaufen und sich selbst in den Feierlichkeiten zu verlieren.
    Dann fiel ihm wieder die Schriftrolle mit den Prophezeiungen ein, die er in seiner behandschuhten Hand hielt, und das Herz rutschte ihm in die Hose.
    Mark hatte die Voraussagen der anderen Sterndeuter für das kommende Jahr gehört. Er hatte den allgemeinen Warnungen, den nebulösen Ratschlägen und den guten Aussichten aufmerksam gelauscht, die für fast jedermann zutreffen konnten. Dafür waren Sterndeuter schließlich da, das war die Lektion, die ihm Snutworth erteilt hatte, als sie sich auf den Tag vorbereitet hatten: Immer alles schön vage halten, das Publikum füllt die Lücken schon selbst auf.
    Aber das traf auf ihn wohl nicht zu, dachte Mark, dafür hatte der Graf schon gesorgt. Sein Meister hatte ihm die Prophezeiungen praktisch in die Feder diktiert. Natürlich hatte er so getan, als würde er ihm nur helfen, als wollte er ihn lediglich darauf hinweisen, welchem der Sterne die größte Bedeutung zukam. Und trotz allem, was er wusste, war Mark gezwungen gewesen, zu lächeln und dabei auch noch dankbar auszusehen.
    Es waren nur drei. Als dem jüngsten Sterndeuter wurden von ihm nur drei Voraussagen erwartet. Aber es waren die riskantesten von allen: Prophezeiungen, die schon vor Tagen aufgeschrieben und verteilt worden waren, Voraussagen hinsichtlich des Festes selbst. Sogar jetzt, in diesem Augenblick, lasen die wichtigen Festbesucher ihre Ausgaben davon durch – und warteten gespannt, ob sie sich erfüllten.
    Stumm murmelte er die ihm vertrauten Verse noch einmal vor sich hin.
     
    Der Ruhm Agoras wird an diesem Tage glänzen,
    Und der Prophezeiungen drei sollen das Zeichen kränzen.
     
    Die Stunde wird schlagen mit zwiefacher Freud’,
    Ihre Süße getragen von ewgem Geläut.
     
    Die Sterne fallen für jenen, der steigt,
    Das Ganze wird bröckeln, wenn das Kleinste sich zeigt.
     
    Zuletzt werden die Einsamen sich verwundert ergeben,
    Und das Glück besingend sich preisend erheben.
     
    Und mit diesen drei Zeichen von allen geseh’n,
    Wird Agoras Ruhm auf ewig besteh’n.
     
    Er hatte sich alle möglichen Kniffe ausgedacht, um es einfacher zu machen. Er hatte versucht, den Einfluss der schwierigeren Planeten zu übersehen, hatte die konservativsten Interpretationen zurate gezogen, die er finden konnte, hatte sich sogar Reime einfallen lassen, um es auszuschmücken. Das Einzige, was er dabei herausgefunden hatte, war, dass er als Dichter auch nicht besser war denn als Sterndeuter. Es schien sich einfach kein Gefühl für das Mysterium einzustellen.
    Mark hatte sich den Ablauf bereits bildlich vorgestellt. Die schreckliche Stille, wenn er die Sätze mit zitternder Stimme vorlas. Das tödliche Schweigen, wenn alle darauf warteten, dass etwas geschah. Dann das einsetzende Gelächter, bis die ganze versammelte Menge in Schmährufe und Kichern ausbrach, während er von der Bühne hinuntersprang und sich seinen Weg durch die Menge bahnte, sich in einem Meer von Leibern verlor und in alle Ewigkeit öffentlich bloßgestellt wäre.
    Während er nachdachte, sah er aus dem Augenwinkel eine schwarz gekleidete Gestalt, die sich unauffällig durch die ausgelassene Menge schob und auf den Glockenturm mitten auf dem Marktplatz zuhielt. Niemandem sonst wäre sie aufgefallen, aber für Mark war sie ein Zeichen der Hoffnung. Snutworth war unterwegs. Alles hing nun von ihm ab. Was er tat, war natürlich sehr gefährlich, aber in gewisser Hinsicht wäre Markjetzt sehr gern bei ihm gewesen, nur um von diesem Podium und den neugierigen Blicken der Sterndeuter wegzukommen. Nicht zum ersten Mal wünschte sich Mark, er hätte Lily darüber unterrichtet, was er vorhatte. Wahrscheinlich war sie sogar irgendwo dort draußen in dem Gewühl und wartete darauf, dass die Feier endlich losging. Aber der Graf hätte natürlich seine Briefe gelesen, und Marks Vorhaben musste unter allen Umständen geheim bleiben. Wie auch immer, überlegte Mark erschauernd, das Letzte, was er wollte, war, Lily mit sich ins Verderben zu reißen, und das nicht nur, weil sie seine Freundin war. Wenn er heute versagte, blieben sie und der Doktor womöglich die einzigen Menschen in ganz Agora, die ihn bei sich aufnehmen würden.
    Als er sich umdrehte und die anderen Sterndeuter betrachtete, sah er, dass

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