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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Gedanken zum Fünften Internationalen Geist-Körper-Symposion. Jede Mengen Geschichten von Menschen, die durch ihre Gedanken Herzkrankheiten besiegt, wuchernde Krebszellen mit geistigen Geschossen niedergemacht haben – was auch immer. Sicher haben Sie von solchen Fällen gehört.«
    »In der Tat«, sagte Prendergorst eisig.
    »Jack… bitte«, stöhnte Helen und zuckte peinlich berührt zusammen. Meine Frau, die Reporterin von Süße Vernunft.
    »Wunder geschehen«, sagte ich beharrlich. »Nicht üblicherweise, und nicht verläßlich, aber sie geschehen.«
    »Wunder sind früher geschehen«, erwiderte Prendergorst, während er einen Blick auf die Ausdrucke warf. »Diese Beweisstücke stammen alle aus der Alptraum-Ära – aus dem Zeitalter der Lügen. Inzwischen sind wir erwachsen.«
    »Es geht grundsätzlich darum, den Patienten eine positive Perspektive zu geben«, erklärte ich.
    »Bitte!« raunte Helen.
    »Menschen können sich selbst heilen«, behauptete ich.
    »Ich glaube, es ist Zeit, daß wir in die Wirklichkeit zurückkehren, Mr. Sperry.« Prendergorst schob die Ausdrucke weg, als ob sie mit dem Xavierschen Virus infiziert wären. »Ihre Frau ist offenbar derselben Ansicht wie ich.«
    »Vielleicht sollten wir Toby nächste Woche nach Hause holen«, schlug Helen vor und wedelte sich mit der Broschüre Luft zu. »Je früher er es erfährt«, seufzte sie, »desto besser.«
    Prendergorst zog eine Packung Krebsroulettes aus der Brusttasche seines Laborkittels. »Für wann ist die planmäßige Abreise Ihres Sohnes vorgesehen?«
    »Für den Siebenundzwanzigsten«, sagte Helen.
    »Die Symptome werden vor diesem Zeitpunkt nicht auftreten. Ich würde ihn lassen, wo er ist. Warum sollte man ihm den Sommer verderben?«
    »Aber er wird in einer Lüge leben. Er wird herumlaufen und denken, daß er nicht sterben wird.«
    »Wir alle laufen herum und denken, daß wir nicht sterben werden«, entgegnete der Doktor mit einem flüchtigen kleinen Lächeln. Er zog eine Zigarette heraus und legte die Packung an den Rand des Schreibtisches. ACHTUNG: DIE ALLGEMEINE KAMPAGNE DER ÄRZTESCHAFT GEGEN DIESES PRODUKT KÖNNTE SIE VON DEN UNZÄHLIGEN BEREICHEN ABLENKEN, IN DENEN IHRE REGIERUNG BEIM SCHUTZ IHRER GESUNDHEIT VERSAGT. »Mein Gott, was für eine verdorbene Spezies sind wir doch! Ich erkläre Ihnen, Toby ist unheilbar krank, und gleichzeitig denke ich die ganze Zeit: He, mein Leben verläuft ziemlich angenehm, oder nicht? Von meinen Söhnen ist keiner vom Tod bedroht. Tatsache ist, daß ich mich an dem Leiden der Menschen in gewisser Weise ergötze.«
    »Wann fangen die Symptome denn an?« Helen faltete die Seiten der Broschüre zu abartigen, gequält aussehenden Origami-Figuren. »Und was geschieht dann?«
    »Zu Anfang nichts Dramatisches. Kopfweh, Gliederschmerzen, etwas Haarausfall. Vielleicht nimmt seine Haut eine bläuliche Verfärbung an.«
    Helen sagte: »Und im weiteren Verlauf?«
    »Seine Lymphknoten werden schmerzhaft anschwellen. Seine Lungenflügel werden sich wahrscheinlich mit Pneumocystis carinii füllen. Seine Temperatur…«
    »Hören Sie auf«, sagte ich.
    Der Arzt steckte sich die Zigarette an. »Jeder Fall verläuft anders. Einige Xavier-Patienten siechen ein Jahr lang dahin, manche bringen es in weniger als einem Monat hinter sich. In der Zwischenzeit tun wir alles, was in unserer Macht steht, was nicht sehr viel ist. Demerol, intravenöse Ernährung, Antibiotika gegen die Sekundärinfektionen.«
    »Wir haben genug gehört«, sagte ich.
    »Das Schlimmste sind wahrscheinlich die Schüttelfröste.« Prendergorst zog an seiner Zigarette. »Man hat den Eindruck, als könnten Xavier-Patienten niemals warm werden. Wir wickeln sie in elektrische Decken, doch das bringt keine…«
    »Bitte, hören Sie auf!« flehte ich.
    »Ich spreche lediglich die Wahrheit«, sagte der Arzt und stieß dabei einen zerfransten Rauchring aus.
     
    Während des gesamten Heimwegs sprachen Helen und ich nicht miteinander. Nicht über Toby, nicht über die Xaviersche Seuche, nicht über Wunder – nichts.
    Sonderbarer-, grausamerweise drehten sich meine Gedanken um Kaninchen. Wie ich in Zukunft ihre Gegenwart in meinem Leben nicht mehr würde ertragen können. Wie ich vor Zorn zittern würde, wenn meine Laufbahn es erfordern würde, daß ich ein Exemplar von Peter Rabbit oder eine Osterkarte mit der Abbildung eines grinsenden Häschens kritisieren müßte. Vielleicht würde ich sogar anfangen, mich an den Tieren zu vergehen, und eine Spur

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