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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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menschliches Herz massierten.
     
Fatuität, die (Albernheit, Blödsinn)
     
    Psychoneuroimmunologie war keine Albernheit, hatte ich entschieden – zumindest nicht zur Gänze. Selbst die nüchternen Texte in der Zeitschrift leugneten nicht die wissenschaftliche Bedeutung von Heilmethoden, die auf der Verbindung von Geist und Körper beruhten.
    Es gab also Hoffnung. O ja, Hoffnung. Ich würde die Datenspeicher der Stadt durchstöbern, das gelobte ich. Ich würde alle Fälle in Erfahrung bringen, bei denen jemand eine fatale Krankheit dadurch besiegt hatte, daß er die zweifelhaften Kräfte seines eigenen Nervensystems angezapft hatte. Ich würde mich kundig machen in den Bereichen ›plötzliches Nachlassen von Krankheiten‹, ›unerwartete Heilung‹ und ›Systematik von Wundern‹.
     
Fatum, das
Faust, die
Fausse, die
Faxe, die (mst. Plural, Spaß)
     
    Denn, sehen Sie, es war so: an seinem fünften Geburtstag hatten wir Toby in den Garten Der Gefangenen Tiere im Bezirk Spinoza mitgenommen. Junge Rehe streiften nach Lust und Laune durch das Tiergehege, auf ihren Paarzeherhufen umherstolzierend, die Nasen vorgereckt auf der Suche nach ausgestreckten Händen. Überall wimmelten Kinder im Vorschulalter herum, fütterten die Geschöpfe mit Erdnußbruch, kicherten und machten Faxen, wenn die gierigen Zungen ihnen über die Handflächen fuhren. Wenn ein anderes Kind lachte, weil es auf diese Weise abgeleckt wurde, war ich nicht besonders berührt. Sobald mein Kind dasselbe tat, empfand ich etwas vollkommen anderes, etwas schwer zu Beschreibendes.
    Ich glaube, ich sah den angeblichen Gott.

 
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    Passenderweise hatte das Zentrum für Lindernde Behandlung von Hoffnungslosen Krankheitsfällen einen hoffnungslosen Standort, ein felsiges Vorgebirge, das vom südlichen Ende des Bezirks Locke in das unruhige, bleierne Wasser der Becket-Bucht hinausragte. Wir kamen am Sonntag gegen Mittag an; Helen fuhr, ich wies den Weg, die Karte von Veritas auf den Knien, deren Oberfläche so von Knittern und Löchern gescheckt war, daß sie die Nachwirkungen einer Bombardierung zu zeigen schien. Einige hin- und hergefaltete Endlos-Computerausdrucke lagen auf dem Rücksitz, die Früchte meiner Forschungen im Bereich der Psychoneuroimmunologie und des Zusammenhangs zwischen Geist und Körper. Ich wußte jetzt alles über Wunder. Ich war Experte für das Unmögliche.
    Wir stellten den Wagen auf dem Besucherparkplatz ab. Ich klemmte mir die Ausdrucke unter den Arm und folgte Helen über den Schotterboden. Das Gebilde, das düster vor uns aufragte, war gewaltig und bedrohlich, Schicht über Schicht von schmaler werdenden Betonstockwerken, überzogen mit schmutzigem Putz, als ob Prendergorsts Reich ein Hochzeitskuchen wäre, am Beginn einer Ehe, deren Bestimmung es war, in Mißbrauch der Ehefrau und Mord zu enden.
    In der Eingangshalle empfing uns eine beschriftete Säule: ACHTUNG: WIR WISSEN, DASS DIE GESTALTUNG HIER NICHTS DAZU BEITRÄGT, IHREN KUMMER UND IHRE VERZWEIFLUNG ZU MINDERN. SCHREIBEN SIE AN DEN ABGEORDNETEN IHRES BEZIRKS. WIR WÜRDEN GERN EINE ORDENTLICHE BELEUCHTUNG ANBRINGEN UND DIE WÄNDE STREICHEN. Eine Krankenschwester mit Borstenkinn sagte uns, daß Dr. Prendergorst – »Sie werden ihn an seinen Augen erkennen, sie sehen aus wie eingelegte Zwiebeln« – uns im elften Stock erwartete.
    Wir betraten den Aufzug, eine stickige Kiste voll finster dreinblickender Männer und Frauen, wie ein Viehfrachter, der Kriegsflüchtlinge von einem von Chaos und Katastrophen gebeutelten Gebiet zum anderen transportierte. Ich griff nach Helens Hand. Die Geste ging daneben. Glitschig von Schweiß rutschte meine Hand aus der Helens weg.
    Im Wartezimmer des elften Stocks wartete niemand; es war ein düsterer Winkel, vollgestellt mit allzu üppigen Sesseln und versehen mit Metallgravuren von berühmten Krebsopfern; eine Galerie, die in der Geschichte bis zu Jonathan Swift zurückreichte. Helen nannte dem Mann am Empfang unsere Namen, einem spindeldürren jungen Mann mit einem blühenden Akne-Garten auf den Wangen, der sich sofort an seinen Intercom begab und unsere Ankunft Prendergorst meldete, wobei er hinzufügte: »Sie sehen blaß und ängstlich aus.«
    Wir setzten uns. Bestseller-Selbsthilfe-Bücher lagen auf dem kleinen Tisch herum. WIE SEX EIN BISSCHEN MEHR SPASS MACHEN KANN. WIE FINDE ICH EIN GEWISSES MASS AN INNEREM FRIEDEN? DIE UNSICHERE WEISSENBERG-DIÄT… »Wir haben ein miserables System, nicht wahr?« krähte der Mann

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